Information des Universums

Information des Universums

Als er nach Jerusalem kam, versuchte er, sich zu den Jüngern zu halten; doch alle fürchteten ihn und glaubten nicht, dass er ein Jünger sei. Barnabas aber nahm sich seiner an, führte ihn zu den Aposteln und erzählte ihnen, wie er unterwegs den Herrn gesehen und dass er mit ihm gesprochen habe und wie er dann in Damaskus öffentlich aufgetreten sei im Namen des Herrn. Und so kam es, dass er bei ihnen in Jerusalem ein und aus gehen und öffentlich im Namen des Herrn auftreten konnte. Und er sprach zu den Hellenisten und diskutierte mit ihnen; sie jedoch hatten vor, ihn zu töten. Als die Brüder und Schwestern davon Kenntnis erhielten, geleiteten sie ihn nach Cäsarea hinab und schickten ihn weiter nach Tarsus. Die Kirche hatte nun Frieden in ganz Judäa und Galiläa und Samaria; sie wurde auferbaut und ging ihren Weg in der Furcht des Herrn; und sie wuchs durch den Beistand des heiligen Geistes. Apg 9,26-31

Die Gegenwart Gottes birgt eine Information: die Information von Gott als dem Geheimnis des Universums im Hier und Jetzt. Durch diese Information ist das Universum entstanden und in einen Prozess der Entwicklung getreten, durch diese Information hat sich auf diesem Planeten eine Atmosphäre gebildet und eine Evolution in Gang gesetzt, durch diese Information ist Leben entstanden und sind Pflanzen, Tiere, Menschen hervorgegangen, die diese Informationen auf ihre Weise verarbeiten. Alles ist durch diese Information geworden, und ohne sie ist nicht eines geworden, das geworden ist (vgl. Joh 1,3). Sie umfasst Wahrscheinlichkeitsfelder, die in Kategorien wie Raum und Zeit, Sein oder Nichtsein, nicht zu fassen sind, und sie zeigt sich in jedem Hier und Jetzt. Jeder Moment ist durchdrungen von ihr, jeder Moment bezeugt sie. Ihre Liebe und Weisheit blitzen ständig auf. Als Werkmeisterin des Universums steht sie Gott zur Seite und macht das Werk der Schöpfung zu einem grossen Spiel (vgl. 8,30f). Diese Information hat Gott vor aller Zeit zur Vollendung des Menschen bestimmt (vgl. 1Kor 2,7). Doch sie führt ihn in die Tiefen Gottes, die nur durch den Geist seiner Gegenwart offenbar werden (vgl. 1Kor 2,10).

Das Suchen und Erforschen dieser Information hat seinen eigenen Anreiz. Das Alte Testament spricht davon, dass sie als Weisheit oben auf den Höhen steht, am Weg, wo sich die Strassen kreuzen, und an den Toren der Stadt, wo Entscheidungen getroffen werden (Prov 8,3). Es lässt keine Zweifel daran, dass es demjenigen Menschen wohl geht, der auf sie hört und ihre Information nicht in den Wind schlägt (Prov 8,33f). Ihrem Rat zu folgen, bewährt sich. Deshalb ist es attraktiv, sich an ihr zu orientieren. Paulus gibt demgegenüber zu bedenken, dass die Welt, obwohl umgeben von Gottes Weisheit, auf dem Weg der Weisheit Gott nicht erkannte (1Kor 1,21). Die Information von Gott als dem Geheimnis des Universums bleibt allzu oft ungehört. Paulus verkündet deshalb Jesus Christus, und zwar den Gekreuzigten (1Kor 2,2). Diese Botschaft soll den Menschen mit dem Abgrund der Demut konfrontieren. Sie soll ihn von sich selbst befreien, sodass er wieder in die Gegenwart Gottes kommt und deren Information vernimmt (vgl 1Kor 1,26-31). Für ihn entsteht auf diese Weise der Anreiz, der den Menschen in die Kraft Gottes bringt (vgl. 1Kor 2,5).

Die Bedenken, die Paulus vorbringt, wirken bis in diese postchristliche Zeit. Wissenschaftliches Forschen hat sich heute dezidiert von metaphysischen Ansprüchen verabschiedet und fragt nicht nach jener Information, mit der Gott das Universum schafft und zusammenhält. Es beschränkt sich vielmehr darauf, methodengeleitet zu beobachten und die Beobachtungen mit Theorien zu erklären, die sich überprüfen lassen, aber korrigiert oder ersetzt werden müssen, sobald sie sich nicht mehr bewähren. Dennoch ist die Sehnsucht, jener Information auf die Spur zu kommen, nach der das Universum funktioniert, nicht erloschen. «Der erste Trunk aus dem Becher der Naturwissenschaft macht atheistisch, aber auf dem Grunde des Bechers wartet Gott!» Was der deutsche Physiker und Nobelpreisträger Werner Heisenberg formuliert, steht symptomatisch auch für diese postchristliche Zeit: Das menschliche Streben und Forschen mag heute säkular und religionslos geschehen, und es mag jede Vermischung mit religiösen Kategorien tunlichst vermeiden. Doch es kann in den Abgrund der Demut führen und das eigene Nichtwissen aufzeigen, sodass die Bereitschaft erwacht, sich auf jene Information einzulassen, durch die sich Gott als Geheimnis des Universums in diesem Hier und Jetzt offenbart.

Unser Predigttext führt an einem Beispiel aus prächristlicher Zeit ganz konkret vor, wie dies geschehen kann. Erzählt wird eine weitere Episode von Saulus nach seiner Erleuchtung vor Damaskus. Eine ausführliche Beschreibung dieser Erleuchtung sowie deren ersten Verarbeitung geht ihr voraus (Apg 9,1-19a). Die Erzählung stellt heraus, dass Saulus durch seine Erleuchtung vom eifrigen Verfolger der christlichen Urgemeinde rasch zum eifrigen Vertreter des christlichen Glaubens und in der Folge selber zum Verfolgten wird. Bereits in Damaskus wird dies sichtbar: Saulus predigt, dass Jesus der Sohn Gottes, ja der Gesalbte ist (Apg 9,20.22). Doch die jüdische Seite gibt ihm Widerstand und beschliesst, ihn umzubringen (Apg 9,23). Dank der Hilfe von Mitchristen wird er nachts in einem Korb die Stadtmauer hinuntergelassen, sodass er fliehen kann.

Hier setzt unser Predigttext ein. Er unterstellt, dass Saulus sogleich nach Jerusalem geht und versucht, sich der dortigen christlichen Gemeinde anzuschliessen (V26a).

Dies widerspricht allerdings der Darstellung, die Saulus als Paulus von dieser Zeit gibt. Im Galaterbrief erzählt er nämlich, dass er nach seiner Erleuchtung drei Jahre in Arabia verbringt (Gal 1,17f). Dass er dort bereits für den neuen Glauben einsteht, berichtet er nicht. Man wird vielmehr annehmen, dass er sich diese Zeit nimmt, um mit dem, was ihm in seiner Erleuchtung widerfahren ist, klar zu kommen. Jedenfalls betont er, dass er sich gerade nicht mit den Aposteln in Jerusalem berät und durch sie den Glauben zu verstehen beginnt. Er hebt stattdessen heraus, dass seine Erleuchtung eine vollgültige Offenbarung Gottes ist, die ihn in die Reihe der Apostel stellt – wenn auch zum geringsten unter ihnen, weil er Jesus zuerst verfolgt hat (1Kor 15,8f). Historisch wahrscheinlich ist also, dass Saulus nach seinen drei Jahren in Arabia nach Damaskus zurückkehrt, dort zu predigen beginnt, Feindschaft erfährt und schliesslich in einem Korb, der über die Stadtmauer heruntergelassen wird, flieht (2Kor 11,32f).

Für die lukanische Darstellung ist dies unwichtig. Für sie steht im Zentrum, dass die Information von Gott als dem Geheimnis des Universums nicht auf die Begegnung mit dem Auferstandenen vor dessen Himmelfahrt begrenzt ist. Sie stellt stattdessen heraus, dass sich diese Information in der Erleuchtung von Saulus erneut offenbart und dass Saulus als Paulus derjenige ist, der dafür einsteht, dass diese Offenbarung bis an die Enden der Erde immer wieder neu geschieht (Apg 1,8). Für Lukas ist Saulus als Paulus nicht ein Apostel. Er gibt ihm diesen Titel konsequent nicht. Vielmehr ist er in seiner Apostelgeschichte die Hauptfigur der zweiten Generation, die aufgrund eines höchst persönlichen, mystischen Ereignisses nach der Himmelfahrt Jesu für die Information von Gott als dem Geheimnis des Universums einsteht wie sie in Jesus Christus jeden Moment gegenwärtig wird.

Aus dieser Perspektive erzählt Lukas, dass Saulus nach Jerusalem geht und Anschluss bei der Urgemeinde sucht. Doch diese fürchtet sich vor ihm und traut ihm nicht (V26). Barnabas aber, der nicht weiter vorgestellt wird, nimmt sich seiner an, führt ihn zu den Aposteln und erzählt ihnen von der Erleuchtung des Saulus und dessen öffentlichem Einstehen für Jesus (V27). Der Funke springt. In der Gegenwart Gottes löst sich alle Befangenheit auf, und Saulus wird von der Gemeinde als einer der ihren akzeptiert (V28). Allerdings wendet er sich auch den gesetzestreuen Hellenisten zu, mit denen bereits Stephanus gerungen hat. Doch diese akzeptieren ihn nicht und wollen ihn wie bereits Stephanus töten (V29). Als aber die Männer und Frauen der Urgemeinde davon erfahren, begleiten sie ihn an die Küste hinunter nach Cäsarea und schicken ihn weiter nach Tarsus (V30). Der Konflikt mit den Hellenisten wird also beruhigt, indem die Gemeinde in Jerusalem Saulus aus dem Spiel nimmt und an einen anderen Ort schickt. Was mit Paulus in Tarsus geschieht, bis ihn Barnabas nach Antiochia holt (Apg 11,25f), lässt Lukas offen. Paulus erzählt, dass er nach seinem ersten Besuch in Jerusalem drei Jahre in Syrien und Kilikien verbringt (Gal 1,21). Immerhin aber kann Lukas nach dieser konfliktiven Episode ein erfreuliches Résumé ziehen (V31): Die Kirche (ἐκκλησία), also der Verband der einzelnen Gemeinden in Judäa, Galiläa und Samaria, hat wieder Frieden. Sie wird auferbaut, geht ihren Weg in der Furcht des Herrn, die der Anfang der Weisheit ist (Ps 111,10; Prov 1,7; 9,10), und sie wächst durch die Kraft des heiligen Geistes.

In heutiger Perspektive ist dieser Bibeltext interessant, weil er an einer Geschichte deutlich macht, wie sich die Information von Gott als dem Geheimnis des Universums, die in Jesus Christus offenbar wird, konkret auswirkt. Versuchen wir, dies zu verstehen!

Zunächst wird deutlich, dass diese Information, durch die das Universum geschieht, nicht aufhört, sich zu offenbaren. Sie durchwebt das ganze Universum – von je her bis in alle Zeit. Wird Jesus Christus, der Nazarener, auch nach dessen Himmelfahrt wie bei Saulus zum inneren Meister, steht die Tür für diese Information weit offen. Daher steht Saulus als Paulus für das Evangelium von Jesus Christus ein, und zwar unter allen Völkern (Röm 1,4f), und Lukas tritt dafür ein, dass dies bis an die Enden der Erde immer wieder neu geschieht (Apg 1,8). Exklusivität ist nicht angestrebt. Jesus ist als innerer Meister eine Tür, die der Offenbarung Gottes einen Namen gibt. Doch die Information von Gott als dem Geheimnis des Universums zeigt sich jeden Moment. Religiöse Poesie beschreibt sie als Liebe und Weisheit, mathematische Zeichen können ihr mit Gleichungen und Mustern auf der Spur sein. Dennoch bleibt sie ein Geheimnis, das zwar unfassbar ist, sich aber ständig gegenwärtig macht. Sie zeigt den Weg in die Gegenwart Gottes, aber bleibt unergründlich.

So geheimnisvoll diese Information Gottes ist, es bewährt sich, sich von ihr leiten zu lassen. Ist Jesus der innere Meister, wird sie wirksam; wird der Moment in der Gegenwart Gottes wahrgenommen, ist ihre Führung spürbar. Ihre Liebe nimmt der Gemeinde in Jerusalem die Angst vor Saulus und gibt ihr Vertrauen zu ihm. Als der Konflikt zwischen ihm und den Hellenisten eskaliert, zeigt sie ihre Weisheit und entschärft den Konflikt. Sie manifestiert sich situativ und hat doch den umfassenden Überblick. Wer sich auf sie einlässt, wird frei von sich und offen für das, was hier und jetzt ansteht. Da ist weder Jude noch Grieche, da ist weder Sklave noch Freier, da ist nicht Mann und Frau, stellt Paulus später fest (Gal 3,28). Der Bezug zur universalen Information Gottes im Hier und Jetzt schafft eine geheimnisvolle und doch wirksame Verbundenheit, die Unterschiede respektiert, Exklusivitätsansprüche indes unterläuft. Wie könnte in unserer globalisierten und von unzähligen Verwerfungen verunsicherten Welt nicht attraktiv sein, durch diese Information der Gegenwart Gottes mitten in allen persönlichen und gesellschaftlichen, kulturellen und religiösen Unterschiedlichkeiten das Gemeinsame zu finden!

Denn diese Information wirkt befreiend. Wo Menschen schweigen, auf sie hören und sich von ihr leiten lassen, zeigt sich ihr Segen. Die Gemeinde in Jerusalem kommt durch sie zu Frieden. Sie geht ihren Weg in die Gegenwart Gottes, folgt deren Information und wird als Gemeinschaft auferbaut. Der heilige Geist eröffnet ihr die Kraft dieser Information und lässt sie wachsen. Was Lukas hier erzählt, reflektiert Saulus später als Paulus. Er wird feststellen, dass die Gegenwart Gottes in Jesus Geist ist, und dass dort, wo dieser Geist ist, Freiheit ist. Wer diese Freiheit erfasst, wird in sie verwandelt (2Kor 3,17f). Die Information von Gott als dem Geheimnis des Universums durchdringt Dimensionen von Wahrscheinlichkeitsfeldern, doch im Moment, in welchem sie sich zeigt, läutert und erlöst sie von Verstrickungen, schafft Freiheit und Klarheit und stellt in das Geheimnis der Gegenwart Gottes. Der Mensch, der davon verwandelt wird, hat diesen Schatz in seinen fragilen irdischen Gefässen. Er bleibt schwach, unwissend und unvollkommen, und er kann sich selber nichts zuschreiben. Doch im Sterben, das er jeden Moment trägt, zeigt sich ihm auch jene Information der Freiheit, mit der ihn Gott in allen Lebenslagen trägt (2Kor 4,7-11). Sich von ihr leiten zu lassen, ist deshalb jeden Moment ein befreiender Segen.

Wie könnten wir in unserer postchristlichen Zeit aufhören, uns auf diese Information auszurichten, uns von ihr durchdringen zu lassen und uns ihrer Führung anzuvertrauen! Sie ist unsere Ressource in Freud und Leid, sie ist die Energie, durch alles geschieht und wir leben und sterben. Beten wir deshalb, dass wir ihrer Liebe und ihrer Weisheit folgen und uns von ihr durchwirken lassen. Amen.

Predigt vom 19. November 2023 in Wabern
Bernhard Neuenschwander

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