Vertrauen

Vertrauen

Noch während Petrus diese Worte sprach, kam der heilige Geist herab auf alle, die das Wort hörten. Und die Gläubigen aus der Beschneidung, die Petrus begleitet hatten, konnten es nicht fassen, dass die Gabe des heiligen Geistes auch über die Heiden ausgegossen sein sollte. Sie hörten sie nämlich in Zungen reden und den grossen Gott preisen. Da sprach Petrus: Wie könnte man denen, die doch wie wir den heiligen Geist empfangen haben, das Wasser zur Taufe vorenthalten? Und er ordnete an, sie im Namen Jesu Christi zu taufen. Da baten sie ihn, einige Tage bei ihnen zu bleiben. Apg 10,44-48

Im Glauben ist jener Gott, der Himmel und Erde geschaffen hat, gegenwärtig. Was für eine Behauptung! Doch genau davon ist der christliche Glaube überzeugt. Gott ist das Geheimnis dieses Universums – eines Universums, das Milliarden von Jahren alt ist und über unvorstellbare Weiten expandiert. Durch seine Information ist dieses Universum entstanden, durch sie entwickelt es sich ständig weiter, durch sie hat sich Leben auf diesem Planeten ausgebreitet und sind Menschen hervorgegangen, die dieser Information auf der Spur sind. Und der Gott, der das Geheimnis dieses unfassbar grossen Prozesses ist, ist mit seiner Information hier und jetzt gegenwärtig. Jeden Moment. Seine Präsenz gibt Vertrauen in die Evolution des Universums, in den Lauf dieser Welt, in das eigene Leben. Sie gibt Vertrauen, das bedingungslos ist, völlig unabhängig von den Umständen, Vertrauen, das den Menschen von Kopf bis Fuss durchdringen will!

Die Gewissheit, die in diesem Vertrauen gegenwärtig ist, versteht der christliche Glaube als Erlösung des Menschen. Sie gibt Freiheit in den Freuden und Leiden des Lebens, schafft Mitgefühl und Resonanzfähigkeit, ermächtigt zu Selbstverantwortung in Verbundenheit mit dem Kontext, in welchem man steht. Doch so offensichtlich diese Gewissheit ist, so gross ist auch der Widerstand, der ihr entgegentritt. Und dieser Widerstand hat Tradition. Er zeigt sich etwa im Dualismus der Gnosis.

Die Gnosis ist eine religionsgeschichtliche Bewegung des 2./3. Jahrhunderts nach Christus, hat aber eine lange, vielfältige Vorgeschichte und wirkt bis heute nach. Ein typisches Merkmal dieser Bewegung ist ihr Dualismus. Sie unterscheidet zwischen einem guten, ewigen, völlig transzendenten Gott und einem bösen, zeitlichen Demiurgen, der diese Welt geschaffen und ihrer Vergänglichkeit preisgegeben hat. Erlösung findet ein Mensch nur, wenn er sich von seiner Materialität löst und den Weg zurück zum ewigen Licht des unfassbaren Gottes findet. Das kann dazu führen, diese Welt gering zu schätzen, zu verachten und sich einer «geistigen Welt» zuzuwenden. Oder sich umgekehrt erst recht dieser Welt zu verschreiben, weil Gott ohnehin unerreichbar ist. Beides steht heute in postchristlichen Formaten zur Verfügung. Die ideologische Schiene, welche die Welt nach ihren moralischen Gesichtspunkten klassifiziert, ist eine Variante, die materialistische, die die Materie entzaubert, wissenschaftlich, technisch und kommerziell verfügbar macht, eine andere. Beiden Varianten ist gemeinsam, dass sie Gott und Welt radikal voneinander trennen, sodass Gott in dieser Welt bedeutungslos ist. Es ist offenbar bis zum heutigen Tag verlockend, entweder einem idealistisch-geistigen oder einem säkular-materialistischen Modell anzuhangen. Der christliche Glaube sucht demgegenüber den mittleren Weg zwischen Idealismus und Materialismus, überzeugt, dass Gott, der Schöpfer von Himmel und Erde, im Moment hier und jetzt gegenwärtig ist.

Unser Predigttext illustriert dies, und er will Vertrauen in die Gegenwart Gottes, des Schöpfers, schaffen. Er steht in einer längeren Geschichte (Apg 10,1-11,18), die von einem Sprung in der Entwicklung des frühen Christentums erzählt, dessen Folgen kaum zu überblicken sind: der Erkenntnis, dass Gott nicht exklusiv einer klar definierbaren Gruppe, den Juden, gehört, sondern der Gott aller, ja des ganzen Universums, ist. Dieser Erkenntnissprung wird im Rahmen einer Begegnung zwischen dem Apostel Simon Petrus und dem römischen Hauptmann Kornelius erzählt. Im Prozess dieser Begegnung beginnt Petrus zu verstehen, dass das Evangelium von Jesus Christus auch dem Nichtjuden Kornelius und dessen ganzem Haus gilt. Vor Kornelius gibt er sich Rechenschaft darüber, dass das Evangelium eine Botschaft des Friedens ist, dass ihr Jesus Christus einen Namen gibt, dass aber die Geschichte von Jesus samt ihrer Vorgeschichte bei den Propheten und ihrem Nachspiel in der Kirche ein Gleichnis ist für die Information Gottes, durch die dieses Universum geschieht (Apg 10,34-43).

Hier setzt unser Predigttext ein. Noch während Petrus spricht, kommt der heilige Geist auf alle herab, die seine Worte hören (V44). Herausgehoben wird damit nicht, dass Petrus unterbrochen wird, sondern dass ein Ereignis geschieht, das nicht in seinen Händen liegt, sondern von Gott her beglaubigt, was er sagt. Der Bezug zum Pfingstwunder in der jüdischen Gemeinde Jerusalems ist offensichtlich. Dort ist die Rede von einem Brausen, das wie ein heftiger Sturm daherfährt und das ganze Haus erfüllt, sodann aber von Zungen wie von Feuer, die sich auf jeden einzelnen Menschen herablassen und dazu führen, dass diese Menschen in fremden Sprachen reden (Apg 2,1-4). Die Fortsetzung macht deutlich, dass diese Geistesgegenwart als machtvolle Atmosphäre von Aussenstehenden wahrgenommen wird: Menschen unterschiedlicher Muttersprache hören sie in ihrer eigenen Sprache von den grossen Taten Gottes sprechen, sodass sie verstehen, dass Gott gegenwärtig ist. Andere aber spotten, sie seien voll süssen Weins (Apg 2,5-13). In unserem Predigttext sind es nun die jüdischen Begleiter von Petrus, die wahrnehmen und kaum fassen können, dass der heilige Geist tatsächlich auch auf Kornelius und sein nichtjüdisches Haus ausgegossen ist (V45). Sie hören sie nämlich ebenfalls in Zungen reden und den grossen Gott loben, sodass sie verstehen, dass Gott gegenwärtig ist (V46). Das Pfingstereignis, dessen Atmosphäre zunächst auf die jüdische Gemeinde begrenzt ist, dessen kosmologisches Potential durch den Hinweis auf den Propheten Joel in der Pfingstpredigt von Petrus jedoch bereits markiert ist (Apg 2,17-21), wird hier also weiter entfaltet. Denn nun zeigt sich, dass Pfingsten auch den Heiden, also den Nichtjuden, gilt, während Juden zu dessen Zeugen werden. Die kosmologische Dimension liegt weiterhin in der Luft, wird in diesem Moment aber nicht Thema.

Petrus wendet sich stattdessen dem zu, was hier und jetzt Sache ist (V47-48). Er stellt die rhetorische Frage, wie man nun denen, die wie er und die pfingstliche Gemeinde «am Anfang» (Apg 11,15) den heiligen Geist empfangen haben, die Taufe vorenthalten könnte. Für ihn ist die Sache klar. Er ordnet deshalb an, sie, also Kornelius und sein Haus, im Namen Jesu Christi zu taufen. Ihre Umkehr ist längstens geschehen, und der Geist hat dies beglaubigt. Der Taufe mit Wasser als dem Zeichen der Taufe mit dem heiligen Geist steht daher nichts im Wege und zeigt bloss, was schon gilt. Auf Bitte von Kornelius und seinem Haus bleibt Petrus noch ein paar Tage bei ihnen und bestätigt damit die entstandene Gemeinschaft zwischen ihm, dem Juden, und Kornelius, dem römischen Hauptmann.

Die Fortsetzung erzählt dann, dass sich Petrus in Jerusalem aufgrund kritischer Nachfragen durch die anderen Apostel und die judenchristliche Gemeinde erklären muss. Er wird die Geschichte, die er erlebt hat, erzählen und darauf hinweisen, dass er sich an das Jesuswort erinnert habe, dass Johannes mit Wasser getauft habe, dass sie aber durch den heiligen Geist taufen werden. Wenn nun also Gott seinen Geist schenke, dann könne er, Petrus, ihm nicht in den Weg treten und die Taufe verweigern (Apg 11,16f). Darauf seien die kritischen Fragen verstummt, und es habe sich Freude ausgebreitet, dass Gott auch den anderen Völkern die Umkehr zum neuen Leben gewährt (Apg 11,18). Die kosmologische Perspektive auf Gott, den Schöpfer, bleibt auch hier im Hintergrund, auch wenn sie nicht ausdrücklich zur Sprache kommt.

Unser heutiges Nachdenken über diese Geschichte motiviert dazu, über jenes Vertrauen nachzudenken, das entsteht, wenn wir begreifen, dass Gott, der Schöpfer von Himmel und Erde, jeden Moment gegenwärtig ist. Wie sollen wir dieses Vertrauen verstehen, das im Glauben an Gott, den Schöpfer, steckt?

Zunächst dies: Der Glaube an Gott, der Himmel und Erde geschaffen hat, ist eine Herausforderung. Er fordert dazu auf, sich von vertrauter Geborgenheit abzunabeln, gewohnte Sicherheitskonzepte zu überschreiten und sich für die grosse Weite dieses Universums zu öffnen. Die Geschichte von Petrus und Kornelius zeigt, dass dies anspruchsvoll ist. Für Petrus ist es eine Herausforderung, die Sicherheit seiner jüdischen Bubble samt ihren Gesetzen zu überschreiten und zu begreifen, dass Gott auch im Nichtjuden Kornelius und dessen Haus gegenwärtig ist. Jesus Christus, für den er einsteht, ist zwar ein Gleichnis für die Information, mit der Gott in diesem Universum waltet. Doch ist Petrus erst in Ansätzen in der Lage, das Potential, das darin steckt, zu verstehen. Für uns heute ist dies nicht weniger herausfordernd. Auch wir suchen Geborgenheit in der Familie, einer Gemeinschaft, einem Beziehungsnetz, dem wir uns zugehörig fühlen. Ein kosmologischer Glaube an Gott, der das Geheimnis dieses Universums ist, konfrontiert uns demgegenüber damit, dass wir auf diesem Planeten durch die unendlichen Weiten dieses Weltalls um die Sonne kreisen, dass die Evolution der Natur auf diesem Planeten von Wettbewerb, Kampf und Leid geprägt ist, und dass wir dennoch aufgerufen sind, im Angesicht dieser kosmologischen und oft genug auch ganz konkret erlebten Ungeborgenheit Vertrauen zu haben, bedingungsloses Vertrauen, weil Gott mit seiner Information in diesem Universum waltet.

Und noch mehr: Dieser Gott, der dieses Universum so geschaffen hat, kommt uns ständig entgegen. Seine Information ist jeden Moment gegenwärtig. Pfingsten ist das christliche Zeichen, das dies illustriert. Das Ereignis, das die Pfingstgeschichte gleichnishaft erzählt, ist ja nicht bloss ein Ereignis «am Anfang» des Urchristentums. Es geschieht vielmehr jeden Augenblick, verzaubert mit seiner Atmosphäre den Moment, und es bringt den Schöpfergott immer wieder neu nahe. In seiner Gegenwart wird der kosmologische Glaube auf einmal ganz konkret, persönlich und einmalig. Auch wenn mich die Ungeborgenheit, Kälte und Einsamkeit dieses unfassbaren Universums umgibt, so finde ich in der Gegenwart des Schöpfergottes Geborgenheit, Wärme und Verbundenheit mit allem, was es gibt. Der Schmerz über die Kosten dieser Evolution, Willkür und Zufall, das Gesetz des Stärkeren, Leid und Tod sind da, aber ich finde dennoch Heilung und Trost. Und auch wenn mich die Überschreitung meiner Sicherheitsdispositive mit Angst und Misstrauen konfrontiert, so finde ich doch Mut und Vertrauen, auf den anderen Menschen zuzugehen. Der Glaube an Gott, den Schöpfer, ist nicht die Rückkehr in ein naives, kindliches Grundvertrauen, in welchem diese Welt, ja dieses Universum, heil und in Ordnung sind, sondern bedingungsloses Vertrauen in die befreiende, heilende, erlösende Information des Hier und Jetzt. Auch wenn diese Information ständig da ist – ob ich sie aufnehme und mich von ihr leiten lasse, liegt an mir.

Vertrauen in den Schöpfgott ist daher etwas höchst Persönliches. Es zeigt die Richtung, doch gehen und erfahren kann ich den Weg nur selber. Heute liegen viele Unsicherheiten in der Luft. Die Newsportale sind voll von belastenden Geschichten. Wer sich ihnen aussetzt, wird rasch von ihnen in Beschlag genommen. Ich bin deshalb gefordert, meine Selbstverantwortung zu packen und mich auf meine Ressourcen zu besinnen: das Vertrauen in Gott, der dieses Universum geschaffen hat und mit seiner Information von Liebe und Weisheit ständig gegenwärtig ist. Dieses Vertrauen stärkt meine Resilienz, verbindet mich mit meiner Kreativität, eröffnet mir Lösungswege und zeigt mir, dass ich trotz allem erfüllt und ummantelt bin vom Geheimnis jener Information, die in diesem Universum waltet. Ich kann und muss dieses Vertrauen nicht aus mir selbst erschaffen. Es genügt, wenn ich im Hier und Jetzt ankomme und realisiere, dass es in der Gegenwart Gottes bereits da ist.

Gottvertrauen ist kein billiger Trost. Gottvertrauen ist eine Kraftquelle, die jeden Moment am Fliessen ist und Leben gibt, aber erst recht wirksam wird, wenn wir ihr nicht im Weg stehen. Wir alle haben die Chance, uns von ihr durchdringen und leiten zu lassen. Beten wir also, dass wir mit der Energie, die in der Information Gottes steckt, vertraut werden und lernen, in ihr sie zu leben und zu sterben. Amen.

Predigt vom 18. Februar 2024 in Wabern
Bernhard Neuenschwander

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