Gleichnis des Universums

Gleichnis des Universums

Petrus tat seinen Mund auf und sprach: Jetzt erkenne ich wirklich, dass bei Gott kein Ansehen der Person ist, sondern dass ihm aus jedem Volk willkommen ist, wer ihn fürchtet und Gerechtigkeit übt. Das ist das Wort, das er den Israeliten gesandt hat, als er die Botschaft des Friedens verkündigte durch Jesus Christus, der Herr ist über alle. Ihr wisst ja, was sich zugetragen hat in ganz Judäa, seit den Tagen, da Johannes in Galiläa die Taufe verkündigte: Ihr kennt Jesus von Nazaret und wisst, wie Gott ihn mit heiligem Geist und mit Kraft gesalbt hat; er zog umher und tat Gutes und heilte alle, die vom Teufel unterdrückt wurden, weil Gott mit ihm war. Und wir sind Zeugen all dessen, was er im Land der Juden und in Jerusalem getan hat, er, den sie ans Holz gehängt und getötet haben. Ihn hat Gott auferweckt am dritten Tag und hat ihn erscheinen lassen – nicht dem ganzen Volk, sondern den Zeugen, die Gott vor langer Zeit bestimmt hatte, uns, die wir mit ihm gegessen und getrunken haben nach seiner Auferstehung von den Toten. Und er hat uns aufgetragen, dem Volk zu verkündigen und zu bezeugen, dass er es ist, der von Gott zum Richter über Lebende und Tote bestellt ist. Darum bezeugen alle Propheten, dass durch seinen Namen Vergebung der Sünden empfängt, wer immer an ihn glaubt. Apg 10,34-43 

Die Gegenwart Gottes ist eine Energiequelle von Information. Diese Information sorgt dafür, dass das Universum weder auseinanderbricht noch kollabiert, dass es einen grossen Prozess der Evolution vollzieht, dass die Dinge in ihrer Zeit werden und vergehen und schliesslich dass sich Lebewesen entwickeln. Die Zellen meines Körpers werden ständig erneuert. Alte Zellen sterben ab, neue entstehen – jedenfalls solange sie sich gesund verhalten –, und in wenigen Jahren bin ich als der, der ich körperlich bin, vollständig ersetzt. Die Information aber, die mich ausmacht, bleibt bestehen, und ich bleibe, auch wenn die Bausteine meines Körpers ausgewechselt sind, in allen Veränderungen kontinuierlich mich selbst. Was in diesem Prozess bleibt und sich weiterentwickelt, ist nicht die Materie, sondern die Information, die in der Materie steckt. Der christliche Glaube spricht deshalb davon, dass Gott, der Schöpfer von Himmel und Erde, jeden Augenblick gegenwärtig ist. Sein Wort, seine Information, hält dieses Universum zusammen, entwickelt es in der Zeit und macht es in all seinen Einzelteilen zu dem, was es ist.

Menschen haben die erstaunliche Fähigkeit, diese Information zu erforschen und für sich nutzbar zu machen. Sie entwickeln wissenschaftliche Modelle, mit denen sie sich dieser Information annähern, und sie bauen Werkzeuge und Techniken, die mit diesen Modellen arbeiten und erstaunlich gut funktionieren. Der DNA-Faden, der Träger der Erbinformationen in allen Lebewesen, misst im Durchschnitt etwa zwei Millionstel Millimeter. Dennoch ist es gelungen, mit dem Verfahren Crispr-Cas Teile dieser Fäden zu zerschneiden und neu zusammenzusetzen. Der Eingriff in das genetische Erbgut von Pflanzen, Tieren und Menschen eröffnet ein enormes Potential: Pflanzen werden so verändert, dass sie für die menschliche Ernährung einen Mehrwert bieten oder robuster gegen Schädlinge oder Witterungseinflüsse sind. Gendefekte, die Krebs und andere schwere Krankheiten verursachen, werden repariert. Erst kürzlich wurde auf dieser Basis eine Gen-Therapie zugelassen, die Menschen, die von Sichelzellen-Anämie betroffen sind, grosse Erleichterung schafft. Wird die Information, durch die der Prozess der Evolution geschieht, mehr und mehr lesbar, entstehen unzählige Möglichkeiten, diese Information für eigene Zwecke zu nutzen – im Guten und im Schlechten.

Die wissenschaftliche Befreiung aus der metaphysischen Umklammerung hat die Entdeckung dieser Information ermöglicht. Dem Leitspruch der Aufklärung «sapere aude», wage es, selber zu denken und zu wissen, sei Dank! Wissenschaftliche Forschung soll ihren eigenen Gesetzen folgen und darf nicht religiös vereinnahmt werden. Allerdings ist auch wenig dienlich, wenn dies zu prometheischen Grössenphantasien führt und Gott durch menschliche Machtansprüche ersetzt wird. Wie wenig weiss ich doch darüber, wie dieses Universum funktioniert! Mit jeder gelösten Frage stellen sich unzählige neue. Muss ich angesichts der Grösse dieses Universum nicht respektvoll verstummen und mir meine eigene Begrenztheit eingestehen? Der Glaube an Gott, den Schöpfer von Himmel und Erde, der mit seiner Information jeden Moment gegenwärtig ist, hält dies in Erinnerung. Er macht mich zum Mit-Schöpfer dieser Erde, aber gibt mir auch zu verstehen, dass nicht ich, sondern Gott der Schöpfer ist.

Im christlichen Glauben wird die Information, durch die dieses Universum geschieht, gleichnishaft durch die Geschichte von Jesus Christus erzählt. In dieser Geschichte verkörpert sich das Wort Gottes (Joh 1,14). Sie ist das Bild des unsichtbaren Gottes (Kol 1,15), oder eben das Gleichnis, das jene Weisheit offenbart, die als Werkmeisterin Gott zur Seite stand, als er dieses Universum schuf (Spr 8,22). Der christliche Glaube orientiert sich deshalb an dieser Geschichte, wenn er sich auf die Information von Gott dem Schöpfer besinnt. Unser Predigttext illustriert es.

Er steht in einer Geschichte, die von einem bedeutenden Entwicklungsschritt der frühchristlichen Kirche erzählt: der Einsicht, dass die Information von Gott, dem Schöpfer, wie sie sich gleichnishaft in der Geschichte von Jesus Christus offenbart, keine exklusiven Machtansprüche einer religiösen Gruppe legitimiert, sondern auf etwas verweist, das allen Menschen zur Verfügung steht und für das ganze Universum von Bedeutung ist. Die Begegnung zwischen Simon Petrus und dem römischen Hauptmann Kornelius bildet den narrativen Rahmen. Dabei begreift Petrus, dass der Glaube an die Gegenwart Gottes nicht auf das jüdische Volk begrenzt ist. Ihm wird stattdessen klar, dass dieser Glaube, wie er in Jesus Christus gegenwärtig ist, auch im Nichtjuden Kornelius bzw. in allen Menschen, ja dem ganzen Universum gegenwärtig ist. In unserem Predigttext gibt Petrus darüber Rechenschaft, wie er den Glauben an Jesus Christus zu verstehen lernt.

Zunächst hält er fest, dass bei Gott tatsächlich kein Ansehen der Person ist, sondern dass ihm aus jedem Volk willkommen ist, wer in fürchtet und Gerechtigkeit übt (V34-35). In der Gegenwart Gottes ist nicht die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe oder irgendeine Mikroidentität entscheidend, sondern die Bereitschaft, sich auf diese Gegenwart einzulassen und entsprechend zu handeln. Diese Botschaft hat Gott – Ps 107,20 bezeugt es – bereits Israel zukommen lassen (V36a). Es ist die Botschaft von Frieden, die er durch Jesus Christus verkündet, der Herr ist über alle (V36b). Gott hat seine Information des Friedens zuerst Israel verkündet, doch durch Jesus Christus wird deutlich, dass sie für alle Menschen, ja das ganze Universum, gilt. Die Geschichte dieses Jesus ist, wie sie in Judäa seit den Tagen, als Johannes in Galiläa die Taufe verkündigte, öffentlich (V37-38): Jesus von Nazaret ist bekannt, und bekannt ist auch, wie ihn Gott mit heiligem Geist und mit Kraft gesalbt hat (Lk 4,14.18); er zog herum, tat Gutes und heilte alle, die vom Teufel unterdrückt wurden, die also die Gegenwart Gottes verloren und sich in die Dinge verstrickten; denn Gott war in ihm gegenwärtig. Petrus und die anderen Apostel sind Zeugen von all dem, was er im Land der Juden und in Jerusalem getan hat (V39a).

Zeugen sind sie indes insbesondere von seinem Tod und seiner Auferstehung (V39b-41). Sie haben miterlebt, wie sie, die Juden (V39a), ihn ans Holz gehängt und getötet haben. Ihn hat Gott am dritten Tag auferweckt und erscheinen lassen – nicht dem ganzen Volk, sondern ihnen, den Zeugen, die Gott im Voraus bestimmt hat. Sie haben mit dem Auferstandenen gegessen und getrunken, und sie haben erlebt, dass tatsächlich er es ist, der von den Toten auferstanden ist. Deshalb sind auch sie es, die von Gott den Auftrag erhalten haben, zu verkünden, was nun seine Bedeutung ist (V42): dass er von Gott zum Richter über Lebende und Tote bestellt ist. Für sie ist darum auch klar, wie sie alle Propheten zu lesen haben (V43): als Zeugen, die darauf hinweisen, dass durch seinen Namen Vergebung der Sünden empfängt, wer immer an ihn glaubt (vgl. Röm 1,17; 3,22). Es gibt Verstrickung, doch die Information, der Jesus einen Namen gibt, schafft Vergebung und stellt erneut in die Gegenwart Gottes. Auf diese Information der Güte und Weisheit Gottes haben alle Propheten verwiesen. Umso entschiedener tun es jetzt auch Petrus und all die Zeugen, die Jesus erlebt haben.

Die Fortsetzung berichtet dann, dass der heilige Geist auf die Zuhörerschaft herabkommt, während Petrus noch spricht, und dass dies für alle zur Gewissheit führt, dass diese Botschaft tatsächlich nicht nur denen gilt, die zu einer bestimmten Gruppe gehören, sondern tatsächlich allen (V44ff).

Aus heutiger Perspektive ist interessant, was die Geschichte von Jesus Christus, gelesen als Gleichnis für die Information von Gott dem Schöpfer, über diese Information aussagt. Offensichtlich führt sie von einem gruppenbezogenen zu einem kosmologischen Glauben. Doch was wird damit über diese Information gesagt?

Zunächst wird sie als Information des Friedens charakterisiert. Damit wird nicht übergangen, dass die Evolution der Natur vom Spiel des Zufalls und vom leidvollen Gesetz des Stärkeren geprägt wird. Ist indes Gott, der Schöpfer von Himmel und Erde, mit seiner Information gegenwärtig, ist die Begrenzung von Kampf und Leid im Blick. Das verkünden die Propheten, das zeigt das Leben von Jesus Christus, wie es öffentlich bekannt ist, das berichten aber auch die Zeugen, die seinen Tod und seine Auferstehung erlebt haben. Gleichnishaft wird darin deutlich, dass die Information Gottes selber fragil ist, aber mitten im Leiden der Evolution nach Frieden sucht: Sie erlebt Schmerz, aber schafft Heilung, ist in Schuld verstrickt, aber findet Vergebung, untersteht den Naturgesetzen, aber bringt Freiheit, stirbt, aber wird erlöst; sie ist das Kriterium, der Richter, das über Lebende und Tote entscheidet. Jesus Christus gibt ihr den Namen. Wer sein Herz für ihn öffnet und durch ihn die Information Gottes zu verstehen und zu leben lernt, sucht den Weg, der dem Frieden dient. Er folgt Güte und Weisheit, die in dieser Information stecken, ist pragmatisch, mit-fühlend, mit-leidend und bedenkt die Folgen des eigenen Tuns. So aber wird er zum Mit-Schöpfer einer Evolution, die auf dem Weg ist, Leben zu fördern und Wohl zu schaffen.

Sodann ist diese Information ein Feld von Wahrscheinlichkeiten, in welcher sich Möglichkeiten überlagern. Erst der Moment, in welchem sie realisiert wird, gibt ihr ihre zufällige Bedeutung. Die Geschichte von Jesus Christus besteht aus vielen Episoden. Sie hat mit den Propheten eine umfangreiche Vorgeschichte und mit der Kirche ein gewaltiges Nachspiel. Alle diese Teilgeschichten überlagern sich in der Geschichte von Jesus Christus. Sie bilden – um ein Wort der Quantenmechanik zu benutzen – eine Superposition, in welcher alle Optionen offenstehen.[1] Die ganze Geschichte von Jesus Christus ist als Summe der vielen Einzelaspekte für mich nicht fassbar. Wende ich mich ihr aber mit offenem Herzen zu, wird für mich auf einmal ein zufälliger Aspekt dieser Geschichte bedeutsam. Wiederhole ich das Experiment zu einem späteren Zeitpunkt, ist nicht voraussagbar, welcher Aspekt mich dann und dort berühren und leiten wird. Was sich mir von dieser Geschichte zeigt, entscheidet sich stets nur im Hier und Jetzt. Alle anderen Optionen werden damit augenblicklich zerstört. Die Information Gottes ist ein riesiges Wahrscheinlichkeitsfeld. Sie ist nur so erfassbar, wie sie sich im Hier und Jetzt zufälligerweise offenbart. Ist dies einmal wirklich verstanden, ist jedem Fundamentalismus im Ansatz der Boden entzogen.

Die menschliche Hinwendung zu diesem Hier und Jetzt ist deshalb entscheidend. Petrus erzählt von Jesus Christus samt seiner Vor- und seiner Nachgeschichte, um durch dieses Gleichnis die Information Gottes in diesem Universum nahe zu bringen. Heute stehen zu diesem Zweck ausgefeilte wissenschaftliche Techniken zur Verfügung. Durch sie kann die Information Gottes in diesem Universum immer besser angenähert werden. Das ist wunderbar. Doch die Geschichte von Jesus Christus erinnert daran, dass die Wirklichkeit hier und jetzt mehr ist, als was durch wissenschaftliche Modelle erfasst werden kann. «Le coeur a ses raison, que la raison ne connaît point», hat der französische Mathematiker und Mystiker Blaise Pascal vor bald 500 Jahren erkannt. Recht hat er! Der Blick des menschlichen Herzens kann durch keine Maschine ersetzt werden. Ich bleibe als Mensch gefordert, das Hier und Jetzt wahrzunehmen, selber zu fühlen, zu denken, zu meditieren, um in der Gegenwart Gottes anzukommen und seine Information zu vernehmen. Das aufgeklärte «sapere aude» ist deshalb heute erst recht wieder aktuell. Nun aber ist seine Pointe: Wage es, mit dem Herzen zu denken, nach der Information Gottes im Hier und Jetzt zu fragen, weise zu werden und das Denken nicht Chat-GPT und Co. zu überlassen!

Wie könnten wir heute aufhören, nach der Information Gottes zu suchen, durch die dieses Universum geschieht! Sie will im grossen, kompetitiven und oft leidvollen Prozess der Evolution den Frieden, weitet den Blick für viele Möglichkeiten, aber verweist doch stets auf das Hier und Jetzt. Zudem freut sie sich darüber, dass Wissenschaft und Technik wunderbare Instrumente an die Hand geben, um dieser Information auf die Spur zu kommen, aber erinnert auch daran, dass diese das Erkennen und Tun des menschlichen Herzens im Moment nicht ersetzen. Beten wir also, dass wir vom Geist der Information Gottes erfasst werden und dass wir uns von ihm leiten lassen. Amen.

[1] Eine gut verständliche Einführung in die Quantenmechanik bietet beispielsweise: Anton Zeilinger (2007, 13. Aufl.): Einsteins Spuk. Teleportation und weitere Mysterien der Quantenphysik, München: Goldmann. Zeilinger hat 2022 den Nobelpreis für Physik erhalten.

Predigt vom 28. Januar 2024 in Wabern
Bernhard Neuenschwander

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