Strong together

Strong together

Nun kamen aber von Antiochia und Ikonium Juden herbei. Die brachten das Volk auf ihre Seite, und sie steinigten Paulus und schleiften ihn dann vor die Stadt hinaus in der Meinung, er sei tot. Doch während die Jünger ihn umringten, stand er auf und ging in die Stadt zurück. Und am folgenden Tag ging er mit Barnabas fort nach Derbe. Apg 14,19-20

Gottes Gegenwart ist bedingungslos treu. Absolut zuverlässig ist sie gegenwärtig, in den Menschen, in der Natur, in der Materie dieses Universums. Nichts wirft sie aus der Bahn, nichts kann sie zerstören oder beseitigen. Der Beginn des neuen Jahres mag viel Unsicherheit wecken und manche sorgen- und angsterfüllte Frage stellen. Umso wichtiger ist deshalb jene Stärke des Moments, die durch die Gegenwart Gottes gegeben ist. Sie gibt Stabilität in allen Veränderungen, weiss um Vergangenheit und Zukunft, lässt sich davon nicht dominieren, und sie erkennt und gestaltet die Wirklichkeit dieses Universums ergebnisoffen, heiter und pragmatisch als Spiel von Gottes Liebe und Weisheit. So verankert in der Gegenwart Gottes, verschafft sie Freiheit in der Ungewissheit und Leichtigkeit im Schweren. Völlig treu und zuverlässig – jetzt, im neuen Jahr und in aller Zeit.

Glücklich, wer dies stabil und unverbrüchlich in sich erlebt, glücklich aber auch, wer es in einer Gemeinschaft erfährt. Wer könnte sich rühmen, nie in Versuchung zu kommen? Selbst Jesus merkt im Garten Getsemani, dass seine Verankerung in Gott davon bedroht ist, von Gefühlen und Gedanken überflutet zu werden. Einen Moment lang erschüttert auch ihn die Furcht vor einem qualvollen Sterben. Mehrmals bittet er deshalb seine nächsten Jünger, bei ihm zu bleiben und ihm Beistand zu leisten. Sie aber sind dazu nicht in der Lage und lassen ihn im Stich. Jesus findet schliesslich in die Gegenwart Gottes zurück und kann die Nebel der Angst verwehen und seine Gedanken zur Ruhe kommen lassen. Doch er bleibt allein, ohne schützende Gemeinschaft, ausgeliefert dem Kreuzweg (Mk 14,32-42parr).

Nicht alle haben die Stärke, einer solchen Versuchung standzuhalten, nicht alle müssen ihren Weg allein gehen. Ein Segen ist, Menschen im richtigen Augenblick mit dem richtigen Wort oder der richtigen Geste an ihrer Seite zu haben und durch ihre Freiheit frei und durch ihre Klarheit klar zu werden. Eine Gemeinschaft, welche die Gegenwart Gottes miteinander teilt, trägt die Schwäche des einen, um ihn zu stärken, und sie nimmt die Verwirrung des andern, um ihm die Klarheit des Moments spürbar zu machen. Eine solche Gemeinschaft steht für die Freiheit der Gegenwart Gottes ein, lässt sich Luft und vereinnahmt sich gegenseitig nicht, aber sie weiss auch, dass niemand davor gefeit ist, dieser Freiheit mit sich selbst im Weg zu stehen und sich selbst den Weg in die Gegenwart Gottes zu verbauen. Deshalb können sich glücklich schätzen, die den Beistand einer solche Gemeinschaft erleben.

Unser Predigttext erzählt beispielshaft von der Unterstützung, die eine Gemeinschaft, welche die Gegenwart Gottes miteinander teilt, geben kann. Versuchen wir zu verstehen, was er uns zu sagen hat!

Erzählt wird eine eindrückliche Episode in Lystra im Rahmen der ersten Mission, die Paulus zusammen mit Barnabas in Kleinasien unternommen hat. Sie wird in einer Weise präsentiert, dass der Eindruck entsteht, sie schliesse sich unmittelbar an das Vorangegangene an. Ob dies historisch den Tatsachen entspricht, muss offenbleiben. Sicher ist der Kontrast massiv. Soeben ist nämlich durch die Verschränkung von Paulus und einem gelähmten Mann ein Wunder geschehen: Der Gelähmte wird geheilt und kann gehen (Apg 14,8-10). Die Leute, die dies miterleben, sind so beeindruckt, dass sie Barnabas Zeus und Paulus Hermes nennen. Barnabas und Paulus sind entsetzt und bemühen sich mit aller Kraft, das Missverständnis zu klären. Sie machen sich als Menschen spürbar und verweisen auf jenen Gott, der alles geschaffen hat. Dieser Gott befreit von vergöttlichenden Projektionen, zeigt sich aber in Wohltaten, indem er jeden Augenblick in seiner Schöpfung gegenwärtig ist. Trotz ihrem engagierten Plädoyer können sie das Volk nur mit Mühe davon abhalten, ihnen zu opfern. Die Begeisterung des Volkes ist nach wie vor gross (Apg 14,11-18).

Was mit unserem Predigttext erzählt wird, markiert einen krassen Stimmungswechsel (V19). Auslöser ist das Herbeikommen von Juden. Bereits zuvor in Antiochia und Ikonium haben Barnabas und Paulus von jüdischer Seite Widerstand erfahren. Nun wiederholt sich dasselbe, indem Juden aus diesen beiden Städten aktiv werden, das Volk auf ihre Seite bringen und die Situation eskalieren lassen. Wie es kommt, dass ihr Einfluss auf die nichtjüdische, hellenistisch geprägte Bevölkerung in Lystra so gross sein soll, wird nicht erklärt. Klar ist, dass die Schuld am Widerstand einzig und allein den herbeigekommenen Juden zugeschoben wird – ein Muster, das sich in den folgenden Jahrhunderten noch oft wiederholten wird. In der Folge kann sich Paulus anders als in Antiochia und Ikonium der drohenden Lynchjustiz nicht mehr entziehen, sondern wird gesteinigt. In der Meinung, er sei tot, schleifen sie ihn vor die Stadt hinaus. Die Verehrung von Paulus als Gott ist jäh gekippt. Heben ihn die Projektionen des Volkes zuerst auf einen Sockel, so stossen sie ihn jetzt mit aller Heftigkeit davon herunter und bestrafen ihn mit Todesverachtung.

In Blick kommt anschliessend die Reaktion derer, welche die Gegenwart Gottes miteinander teilen (V20). Die Jünger, die es in Lystra offenbar bereits gibt, umringen den gesteinigten Paulus. Ihre Nähe verschränkt sie miteinander in der Gegenwart Gottes und macht im Gesteinigten Gott gegenwärtig. In der Kraft dieser Gegenwart steht er auf und geht in die Stadt zurück. Er erlebt die Wohltat Gottes, von der er zuvor gesprochen hat, am eigenen Leib und lässt sich von der Angst vor dem, was er gerade erlebt hat oder in Kürze erleben könnte, nicht dominieren. Stattdessen findet er in die Freiheit der Gegenwart Gottes zurück und folgt ihrer Liebe und Weisheit. So verbringt er noch eine Nacht in der Stadt und geht dann am folgenden Tag zusammen mit Barnabas fort nach Derbe. Dank der Gemeinschaft derer, die mit ihm Gottes Gegenwart teilen, ist er nach diesem gewaltsamen Übergriff in der Lage, wieder auf seine Füsse zu kommen und seinen Weg weiterzugehen.

Die Fortsetzung macht deutlich, dass er in Derbe den entferntesten Punkt seiner ersten Mission erreicht hat, dass er dort nochmals sehr erfolgreich ist, aber dass er sich dann auf dem gleichen Weg, den er durch Kleinasien gekommen ist, zurück nach Antiochia, dem Ausgangsort seiner Mission, macht (Apg 14,21-28).

Das Nachdenken über diesen Predigttext jetzt, kurz nach Neujahr, zeigt uns, was eine Gemeinschaft, die Gottes Gegenwart teilt, zu bewirken in der Lage ist. Versuchen wir, diese Wirkung im Blick auf das neue Jahr zu verstehen.

Deutlich vor Augen geführt wird zunächst der radikale Realitätsbezug. Eine solche Gemeinschaft stellt sich der Wirklichkeit desillusioniert und nüchtern, wie sie in der Gegenwart Gottes tatsächlich ist, und färbt sie nicht mit eigenen Projektionen ein. Gewiss, Erwartungen, Wünsche und Befürchtungen konstruieren sich rasch ihre eigene Wirklichkeit. Zuweilen ist anspruchsvoll, Projektionen zu durchschauen. Wer verliebt ist, will den geliebten Menschen in den Wunschfarben sehen, und wer sich mit der Opferrolle identifiziert, braucht einen Sündenbock, dem er alle Schuld zuschieben kann. Paulus hat es erlebt: Erst wird er vergöttlicht, wenig später verteufelt. Beides ist nicht situationsadäquat. Gottes Gegenwart ist demgegenüber eine permanente Läuterung. Sie befreit von der Verstrickung mit sich, konfrontiert mit dem, was hier und jetzt ist und fordert dazu auf, sich genau dem zu stellen. Gottes Gegenwart ist pure Unmittelbarkeit, näher als alles, was ich mir konstruiere, näher als ich mir selbst. Die Wirklichkeit, die sich mir in dieser Gegenwart zeigt, ist meine Wirklichkeit, aber frei von Befangenheit, meine Sicht, aber ohne meine Interessen, meine begrenzte Wahrnehmung, aber unzensuriert und unbewertet.

Sodann unterläuft eine solche Gemeinschaft die Einsamkeit. Der Weg in die Gegenwart Gottes ist ein höchst persönlicher Weg, doch geschieht er nie allein, sondern stets in Gemeinschaft mit allem, was in Gottes Gegenwart geschehen will. Menschen können sich diesen Weg mit ihren eigenwilligen Konstruktionen verbauen und sich in sich selbst verstricken. Doch eine Gemeinschaft, die den Weg in die Gegenwart Gottes teilt und das Potential der Verschränkung, das dieser Gemeinschaft eigen ist, spürbar macht, weckt aus dem Schlaf der Einsamkeit auf, entlarvt sie als Illusion und zeigt die Verbundenheit, die jeden Moment besteht. Paulus hat sie erlebt. Als er schon für tot gehalten wurde, ist er durch diese Gemeinschaft wieder auf seine Füsse gekommen. Die Verschränkung mit den Menschen, die mit ihm die Gegenwart Gottes teilen, hat gewirkt. Nichts ist davon ausgeschlossen. Die Verschränkung, durch die die Information der Gegenwart Gottes offenbart wird, geschieht auch mit Tieren, Pflanzen, Steinen, ja mit allem, was es gibt. Bin ich in der Gegenwart Gottes, bin ich, solange es mich gibt, nie allein, sondern mit anderen und anderem verschränkt, teile die Information, die uns in diesem Augenblick gegeben ist und verstehe, dass sie unsere Wirklichkeit schafft.

Dies zu realisieren, schafft Zuversicht und Spielfreude. Ist der Moment von Gottes Gegenwart erfüllt, ist dies das Geheimnis jedes Moments der Vergangenheit und der Zukunft. Dieses Geheimnis ist das Geheimnis der bedingungslosen Freiheit, die in diesem Universum steckt. Paulus hat sein Leben in Dienst dieses Geheimnisses gestellt und sich mit ganzer Kraft, ganzer Seele und all seinem Denken dafür eingesetzt, dessen frohe Botschaft zu verkünden. Deshalb ist er nach dem furchtbaren Übergriff, der in seiner Steinigung gipfelt, unbeirrt zurück in die Stadt gekehrt, deshalb hat er die frohe Botschaft dieses Geheimnisses bis nach Derbe getragen und Menschen das Herz geöffnet und den Verstand geklärt. Die Botschaft vom Geheimnis der bedingungslosen Freiheit ist keine Botschaft, die für wahr gehalten werden will, sondern ein Ereignis, das von Kopf bis Fuss erfasst – unmittelbar, ohne eigenes Zutun, aus purer Gnade, jeden Moment. Nichts kann sich ihm entziehen. Es durchdringt dieses Universum, es durchdringt mein Leben, es spielt das Spiel der Evolution, und es spielt mit Liebe und Weisheit. Wie könnte ich da nicht auch dieses Jahr frei und freudig mitspielen!

Der Blick auf das kommende Jahr mag Unsicherheit und Angst wecken. Für Veränderungen ist zweifellos gesorgt, und ihre Auswirkungen sind noch überhaupt nicht absehbar. Doch eine Gemeinschaft, die Gottes Gegenwart teilt, wirkt. Sie macht Mut zur Wirklichkeit, löst die Einsamkeit auf und gibt Freiheit. Öffnen wir uns deshalb für Gottes Gegenwart und freuen wir uns an der Gemeinschaft, in der wir hier und jetzt und jeden Moment stehen und gehen. Beten wir also, dass wir dafür dankbar sind und frohen Mutes in das neue Jahr schreiten! Amen.

Predigt vom 5. Januar 2025 in Wabern
Bernhard Neuenschwander

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