Enlightenment in community

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In Damaskus aber war ein Jünger mit Namen Ananias, und zu diesem sprach der Herr in einer Vision: Ananias! Er sagte: Hier bin ich, Herr. Der Herr aber sagte zu ihm: Mach dich auf und geh in die Strasse, die man ‘die Gerade’ nennt, und frag im Haus des Judas nach einem Mann aus Tarsus mit Namen Saulus! Du wirst sehen, er betet, und er hat in einer Vision einen Mann namens Ananias gesehen, der zu ihm hereinkam und ihm die Hände auflegte, damit er wieder sehe. Ananias aber antwortete: Herr, ich habe von vielen Seiten gehört, wie viel Böses dieser Mann deinen Heiligen in Jerusalem angetan hat. Und von den Hohen Priestern hat er hier die Vollmacht, alle festzunehmen, die deinen Namen anrufen. Der Herr aber sagte zu ihm: Geh hin, denn gerade er ist mein auserwähltes Werkzeug, meinen Namen zu tragen vor den Augen von Völkern und Königen und vor den Augen der Israeliten. Ich werde ihm zeigen, wie viel er wird leiden müssen um meines Namens willen. Da machte sich Ananias auf und ging in das Haus hinein, legte ihm die Hände auf und sprach: Saul, mein Bruder, der Herr hat mich gesandt, Jesus, der dir erschienen ist auf dem Weg, den du gekommen bist: Du sollst wieder sehen und erfüllt werden von heiligem Geist! Da fiel es ihm wie Schuppen von den Augen, und er sah wieder; und er stand auf und liess sich taufen. Und er nahm Speise zu sich und kam wieder zu Kräften. Apg 9,10-19a

Gottvertrauen hat keinen anderen Grund als Gott selbst. Es entsteht, indem Gott gegenwärtig wird und die Präsenz dieser Gegenwart so überwältigend ist, dass ein Ausweichen unmöglich wird. Wo dies geschieht, ist die Kraft dieser bedingungslosen Präsenz evident. Sie befreit von Zweifeln und überzeugt unmittelbar, sie schafft Gewissheit und weckt Vertrauen. Ein solches Ereignis ist weder in der Evolution noch in der Geschichte, Kultur oder Gesellschaft begründet, in welcher man lebt, und es ist nicht die Folge von Ursachen, die erfüllt sein müssen. Es hat seinen Grund in sich selbst. Auf einmal bin ich in seiner Gegenwart, auf einmal fährt es blitzartig durch mich hindurch, auf einmal weiss ich, dass ich nichts als diese bedingungslose Präsenz bin. Doch erklären kann ich nicht, was mir widerfährt. Mit offenen Augen sehe ich nichts. Gottvertrauen ist grenzenlose Klarheit – völlig offensichtlich, völlig unfassbar.

Die Integration eines solchen mystischen Ereignisses in die eigene Biographie ist ebenso anspruchsvoll wie notwendig. Bleibt es desintegriert, bildet es einen Risikofaktor für psychische Erkrankung. Einer Seele, die keinen gesunden Weg aus ihrer mystischen Überforderung findet, bleibt nur die Dekompensation in eine Krankheit. Umso wichtiger ist deshalb die Kenntnis religiöser Geschichten, die von solchen Ereignissen erzählen. Diese machen deutlich, dass sie zu unterschiedlichen Zeiten und in verschiedenen Kulturen immer wieder aufgetreten sind. Sie bieten eine Sprache zu ihrer Interpretation an, und sie schaffen die Möglichkeit, das Erlebte mit anderen Menschen zu teilen und sich in die grosse Gemeinschaft und Tradition der Mystik zu integrieren. Diese Integration ist immer bloss eine bedingte Konstruktion und insofern nicht mehr als ein bescheidener Versuch, das unfassbare Ereignis bedingungsloser Präsenz zu fassen. Sie bleibt stets vorläufig, unabgeschlossen und offen für neue Einsichtigen, zugleich ist sie indes eine Notwendigkeit, um den überwältigenden Überschuss des mystischen Ereignisses zu bewältigen, dessen Potential zu verstehen und mit Vertrauen im eigenen Leben fruchtbar zu machen.

Unser Predigttext erzählt beispielhaft von einer solchen Integration eines mystischen Ereignisses. Der Protagonist Saulus ist als Verfolger der jungen christlichen Urgemeinde bekannt (Apg 7,58; 8,1-3; 9,1). Doch auf seinem Weg nach Damaskus widerfährt ihm etwas völlig Unerwartetes (Apg 9,3-9). Plötzlich umstrahlt ihn Licht vom Himmel. Unfähig auf seinen eigenen Beinen zu stehen, stürzt er zu Boden, und er hört eine Stimme, die zu ihm sagt: Saul, Saul, was verfolgst du mich? Auf die Frage von Saulus, wer er denn sei, gibt sich ihm die Stimme als Jesus zu erkennen, den er verfolge. Jesus gibt ihm den Auftrag, aufzustehen und in die Stadt hineinzugehen. Dort werde ihm gesagt, was er zu tun habe. Ausdrücklich wird festgehalten, dass Männer, die bei Saulus stehen, bezeugen, dass ihm etwas Ausserordentliches widerfahren ist. Saulus erhebt sich dann zwar vom Boden, doch sieht er mit offenen Augen nichts. Seine Weggefährten nehmen ihn deshalb an der Hand und führen ihn nach Damaskus. Der Schock über das Erlebte bleibt drei Tage so akut, dass Saulus nichts sieht und weder isst noch trinkt. Ohne eigenes Zutun und ohne danach gesucht zu haben, wird Saulus von der bedingungslosen Gegenwart Gottes heimgesucht. Dieses Ereignis ist seine blitzartige Erleuchtung. Sie durchdringt ihn von Kopf bis Fuss, zeigt ihm seine eigene Nichtigkeit und holt ihn, auch wenn er dies vorerst nicht versteht, in ein neues Leben.

Hier setzt unser Predigttext ein. Er beginnt mit einem Szenenwechsel (V10). Thema ist nun die Integration des mystischen Ereignisses, das Saulus widerfahren ist, in seine Biographie. In Damaskus gibt es einen Jünger, der zur christlichen Gemeinde gehört und Ananias heisst (V10a). Saulus erzählt später als Paulus, dass sich dieser treu ans Gesetz hielt und bei allen Juden in Damaskus in gutem Ruf stand (Apg 22,12). An unsere Stelle wird berichtet, dass ihn der Herr – es muss in diesem Kontext Jesus gemeint sein (vgl. V5) – in einer Vision mit seinem Namen anspricht. Dass er etwas sieht, wird nicht gesagt. Ananias antwortet, dass er bereit ist, sich ansprechen zu lassen (V10b). Darauf entwickelt sich ein lebhafter Dialog zwischen den beiden (VV11-16).

Zunächst spricht der Herr zu ihm (VV11-12). Er solle sich aufmachen und in die Strasse gehen, die man ‘die Gerade’ nennt. Es handelt sich bei dieser Strasse um die Prachtsstrasse von Damaskus, die mit Säulenhallen auf beiden Seiten das westliche und das östliche Stadttor verbindet. Dort solle Ananias im Haus des Judas nach einem Mann aus Tarsus mit Namen Saulus fragen. Unterstellt wird, dass Ananias Saulus unbekannt ist. Er werde ihn indes sogleich identifizieren können, da er bete und in einer Vision einen Mann namens Ananias gesehen habe, der zu ihm hereinkomme und ihm die Hände auflege, damit er wieder sehe. Ananias wird also darüber informiert, dass er von Saulus erwartet wird. Die Erzählung suggeriert damit, dass genau geplant ist, was nun geschehen soll. Ananias aber hat zunächst einen Einwand (VV13-14): Er habe von vielen Seiten gehört, wie viel Böses dieser Mann der Urgemeinde in Jerusalem angetan habe, ja er habe sogar von den Hohen Priestern eine Vollmacht, alle festzunehmen, die sich zu Jesus bekennen. Es wird also herausgehoben, dass Ananias bestens über das bisherige Tun und Wollen von Saulus im Bild ist, dass er aber nicht weiss, dass Saulus zur Erleuchtung gekommen ist. Genau dies aber wird ihm nun mitgeteilt (VV15-16). Der Herr sagt nämlich zu ihm, er soll hingehen, denn er habe gerade Saulus zu seinem auserwählten Werkzeug gemacht. Paulus wird dies später mit dem Bild des Töpfers, der sich den Ton so formt, wie er will, aufgreifen und dazu ermahnen, dass sich der Mensch nicht dem göttlichen Ratschluss widersetzen und mit Gott rechten soll (Röm 9,20f). An unserer Stelle wird herausgehoben, dass Saulus als Werkzeug auserwählt ist, den Namen von Jesus zu tragen, zunächst vor den Augen von Völkern und Königen, dann aber auch vor den Augen der Israeliten. Er ist also berufen, Jesus Christus bis an die Enden der Welt zu bringen (vgl. Apg 1,8; 28,28) und auch Israel mit seiner Botschaft zu konfrontieren. Wesentlich ist hier aber, dass dies eine grosse Leidensgeschichte impliziert. Denn der Herr gibt Ananias zu verstehen, dass Saulus als Paulus um Jesu Namen willen viel wird leiden müssen (V16).

Nach dieser Bekräftigung wird erzählt, dass Ananias seinen Auftrag ausführt (V17). Er macht sich auf, geht in das Haus, legt Saulus die Hände auf und spricht zu ihm. Mit der Gewissheit, dass Saulus tatsächlich umgekehrt ist, redet er ihn mit «mein Bruder» an und sagt ihm, dass ihn der Herr gesandt habe, Jesus, der ja auch ihm unterwegs erschienen sei, und er gibt ihm zu verstehen, dass er wieder sehen und von heiligem Geist erfüllt sein soll. Sein Zuspruch ist ein Volltreffer (VV18-19). Saulus fällt es wie Schuppen von den Augen. Die unerwartete Bestätigung von einem Menschen, der mit der Gegenwart Gottes vertraut ist, in dieser lebt und in der Lage ist, das Unfassbare, das er erlebt hat, zu erfassen, weist ihm die Brücke, über die er sich mit seinem täglichen Leben, einer Gemeinschaft und deren Geschichte verbinden kann. Lapidar wird festgehalten, dass er wieder sieht, aufsteht, sich taufen lässt, dass er Speise zu sich nimmt und zu Kräften kommt. Saulus beginnt also, die Erleuchtung, die ihm widerfahren ist, als Umkehr von seinem alten und als Berufung zu einem neuen Leben zu verstehen, in sie Vertrauen zu gewinnen und die Integration von Neuem und Altem anzugehen. Die Fortsetzung erzählt dann von den Aktivitäten, die er alsbald aufnimmt (VV19bff). Von Ananias ist nicht mehr die Rede.

Aus heutiger Perspektive interessiert an unserem Predigttext, wie die Integration des mystischen Ereignisses, das Saulus widerfahren ist, geschieht. Beschrieben wird dieses Ereignis zunächst als nicht-duales Lichtereignis der Gegenwart Gottes, als bedingungslose Präsenz, als unfassbarer Moment, der Kategorien wie hell und dunkel überschreitet und Saulus mit seiner existentiellen Nichtigkeit konfrontiert. Mit offenen Augen sieht er nichts. Er stürzt zu Boden und ist voll und ganz in das Geheimnis des Moments entrückt. Für ihn kristallisiert sich diese überwältigende Präsenz Gottes als Jesus, den er verfolgt. Jesus wird für ihn zur Momentaufnahme der Gegenwart Gottes. Mit dieser Interpretation bekommt er einen ersten Anhaltspunkt, um das Erlebte in die eigene Biographie zu integrieren. Sie verschränkt ihn aber auch mit einem neuen Sozialnetz.

Saulus findet im Haus des Judas nämlich nicht nur Schutz vor weiteren Reizen und Zeit zur Verarbeitung des Erlebten, sondern hier begegnet ihm auch Ananias. Diese Begegnung ist für Saulus entscheidend; denn sie macht ihm klar, dass es einen Weg von dem, was er erlebt hat, zu einem Leben in Gemeinschaft gibt. Ananias ist mit der Gegenwart Gottes in der Gestalt von Jesus vertraut. Er ist bereit, sich auf sie einzulassen, seinen eigenen Willen mit dem Willen Gottes zu synchronisieren und den so geklärten Willen zu tun. Ananias lebt im Vertrauen, dass die unfassbare Gegenwart Gottes in Jesus fassbar ist und dass er nichts anderes will, als diese zu leben. So aber wird er gleichsam zur Hebamme, durch deren Hilfe Saulus zu seinem neuen Leben geboren wird. In ihrer Begegnung teilen sie die Gegenwart Gottes, wie sie sich ihnen in Jesus zeigt. Sie sind in Gottes Liebe und Weisheit miteinander verschränkt und begreifen in diesem Moment, was je ihre Aufgabe ist. Sie beide sind auserwählte Werkzeuge, und sie müssen und sollen nichts anderes tun als das, wozu sie berufen sind. Was dies ist, liegt nicht in ihrer Entscheidung. Sie können sich nur dazu entscheiden, ihrer Berufung zu folgen. So aber erfährt Saulus, dass das, was er erlebt hat, eine mit anderen Menschen geteilte Wirklichkeit ist. Als Paulus wird er diese Erfahrung als mystischer Leib Christ deuten, in welchem alle Glieder je ihre Aufgabe zu erfüllen haben (Röm 12,3-8; 1Kor 12,12-27).

Mystische Ereignisse geschehen auch in postchristlicher Zeit, und deren Integration in die eigene Biographie bleibt nach wie vor anspruchsvoll und wichtig. Menschen, die von ihnen heimgesucht werden, sind – vor allem wenn das Geschehen bei ihnen unvorbereitet und blitzartig einschlägt – zunächst masslos überfordert und entsprechend verunsichert und fragil. Das soziale Netz, das sie umgibt, ist deshalb auch heute entscheidend. Menschen, die mit dem Weg in die Gegenwart Gottes vertraut sind, können deshalb andern, die damit erst angefangen haben, eine grosse und notwendige Hilfe sein. Wie sie allerdings zum Einsatz kommen, liegt nicht in ihren Händen. Ananias hat Saulus nicht aus eigenem Interesse aufgesucht. Er hat für sich weder Bestätigung noch Erfolg gesucht, er hat auf Saulus keinerlei Druck ausgeübt, und er hat nicht versucht, seine Überzeugungen an Saulus weiterzugeben. Wem ein mystisches Ereignis widerfahren ist, braucht all das nicht. Heilsam ist hingegen die Erfahrung, dass die Momentaufnahme, in welcher Gott gegenwärtig ist, mit Menschen, mit denen man verschränkt ist, geteilt wird, dass sie bedingungslos, aus reiner Gnade und ohne jede Gewalt geschieht, dass sie ihre eigene Weisheit hat, der man zu folgen hat, und dass Geduld nötig ist, Vertrauen in das Erlebte zu gewinnen und dessen Potential in das eigene Leben zu integrieren.

Heute ist das Verständnis für mystische Ereignisse und den Umgang mit ihnen zwar den Erosionen dieser säkularen Zeit ausgesetzt. Doch solche Ereignisse sind in sich selbst begründet und können nach wie vor jederzeit geschehen. Es ist deshalb wichtig zu bedenken, dass der Weg in die Gegenwart Gottes durch die Einsamkeit hindurch in eine mystische Gemeinschaft führt, in welcher alles mit allem verbunden ist und jeder Teil seine Rolle zu spielen hat. Beten wir also, dass wir mit Gottes Gegenwart vertraut werden und unsere Aufgabe darin zu leben lernen. Amen.

Predigt vom 22. Oktober 2023 in Wabern
Bernhard Neuenschwander

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