Konsolidieren

Konsolidieren

Nachdem sie in jener Stadt das Evangelium verkündigt und viele zu Jüngern gemacht hatten, kehrten sie nach Lystra und dann nach Ikonium und Antiochia zurück. Sie stärkten die Jünger und ermutigten sie, dem Glauben treu zu bleiben, mit den Worten: Nur durch viel Bedrängnis können wir in das Reich Gottes eingehen. Sie setzten für sie in jeder Gemeinde Älteste ein, beteten und fasteten und vertrauten sie dem Herrn an, zu dem sie im Glauben gefunden hatten. Und sie zogen durch Pisidien und kamen nach Pamphylien, und nachdem sie in Perge das Wort verkündigt hatten, gingen sie hinab nach Attalia. Von dort fuhren sie zu Schiff nach Antiochia, von wo sie im Vertrauen auf die Gnade des Herrn aufgebrochen waren zu dem Werk, das sie nun vollbracht hatten. Als sie dort angekommen waren und die Gemeinde versammelt hatten, berichteten sie, was Gott alles durch sie getan und dass er allen Völkern die Tür zum Glauben aufgetan habe. Und sie blieben für längere Zeit bei den Jüngern. Apg 14,21-28

Gott ist ständig Gegenwart, doch die menschliche Aufmerksamkeit ist es nicht immer. Seine bedingungslose Freiheit ist jeden Moment da, doch tun sich Menschen schwer mit dieser Freiheit. Sie verstricken sich in die Dinge und lassen sich die Freiheit nehmen. Was mir doch näher ist, als ich mir selbst, ist auf einmal weit weg, und was ganz von selbst, aus purer Gnade, völlig unmittelbar und natürlich da ist, ist auf einmal von Bergen selbstgemachter Konstruktionen – Gefühlen, Bildern, Erinnerungen, Gedanken, Handlungen – überschüttet und unzugänglich geworden. Das Naturgesetz der zunehmenden Entropie ist ständig und erbarmungslos am Werk. Ergebe ich mich diesem Gesetz, vergeht meine innere und bald auch meine äussere Differenziertheit und nimmt das Chaos zu. Ich drifte orientierungslos durch mein Leben, sehe, wie der Moment verstreicht, noch bevor ich ihn gelebt habe, und auf einmal merke ich, dass das Ende naht, obwohl ich noch gar nicht recht angefangen habe, mein Leben zu leben. Im eigenen Leben anzukommen, es jeden Augenblick zu bejahen und zu leben, ist alles andere als selbstverständlich.

Das zu verstehen, ist das eine; es zu leben, das andere. Der Weg in die Gegenwart will jeden Moment gegangen sein. Der Garten muss gepflegt, die Blumen wollen gegossen werden. Künstlerisches Handwerk bedarf der Übung, Spiel geschieht im Spielen. Kultur bleibt erhalten, indem sie entwickelt wird, freiheitliche Gesellschaft ist, was sie ist, wenn sie ihre Freiheit schützt und verteidigt. Kulturarbeit erschöpft sich nicht in guter Gesinnung und wohlmeinenden Absichten, sondern geschieht durch die Übernahme von Verantwortung und konkretes Tun. Kulturarbeit ist Arbeit am Hier und Jetzt im Hier und Jetzt – Präsenzarbeit. Sie beseitigt, was der Freiheit des Moments im Weg steht, reinigt diese Freiheit vom Staub, der sich kontinuierlich ansammelt, und stärkt sie in der Eigendynamik des ständig beginnenden Chaos. Die Energie dazu nimmt sie aus dem Geheimnis der Gegenwart, dieser unfassbaren Schöpferkraft, die in ihrer bedingungslosen Freiheit neue Differenziertheit schafft, Leben entstehen lässt und die der Glaube mangels besserer Worte «Gott» nennt. Die Gegenwart Gottes ist ebenso Quelle wie Meer, ebenso Ursprung wie Ziel. Sie zu suchen heisst, aus ihr zu schöpfen; aus ihr zu schöpfen heisst, sie erneut zu suchen.

Unser Predigttext führt uns diese Dynamik auf ganz konkrete, erzählerische Weise vor Augen. Folgen wir ihm auf seinem Weg in die Gegenwart Gottes!

Thema ist der Abschluss der ersten grossen Mission, die Paulus zusammen mit Barnabas vollzogen hat. Beauftragt von der Gemeinde im syrischen Antiochia und ausgeschickt vom Heiligen Geist (Apg 13,1-4) sind die beiden über Kreta nach Kleinasien gekommen und haben in einer Reihe von Städten das Evangelium verkündet. In der Stadt Derbe sind sie bis an die äusserste südöstliche Ecke der Provinz Galatien vorgedrungen. Von hier aus gibt es einen direkten Weg durch eine der silizischen Pforten des Taurusgebirges zur Küste und von dort nach Antiochia. Paulus und Barnabas wählen indes nicht diesen direkten Rückweg, sondern kehren auf demselben, ungleich schwierigeren und gefährlicheren Weg zurück, den sie gekommen sind. Sie setzen sich damit bewusst den Risiken aus, die sie auf diesem Weg bereits erlebt haben. Offenbar ist ihnen die Konsolidierung des «Werks», zu dem sie beauftragt sind (Apg 13,2.41; 14,26), also die Verkündigung des Evangeliums nicht nur für die Juden, sondern ebenso für die Heiden, wichtiger als ihre eigene Sicherheit.

Berichtet wird zunächst, was sie in Derbe tun (V21). Wie in den Städten, die sie zuvor besucht haben, verkünden sie auch hier das Evangelium und überzeugen viele von ihrer Botschaft. Darauf kehren sie in umgekehrter Reihenfolge wie auf dem Hinweg in die Städte Lystra, Ikonium und Antiochia zurück. In allen drei Städten sind sie bei ihrem Erstbesuch mit starkem Widerstand konfrontiert worden. Im Zentrum steht für sie deshalb bei ihrem Zweitbesuch die Unterstützung derer, die sich auf das Evangelium eingelassen haben (V22f). Diese beinhaltet zum einen Stärkung und Ermutigung, dem Glauben treu zu bleiben. Leitgedanke ist das Schema: Nur durch viele Bedrängnis können wir in das Reich Gottes eingehen. Dieses Schema gehört zu den neutestamentlichen Sprüchen, welche die Voraussetzung für den Einlass zum Reich Gottes festhalten (Mt 5,20; 7,21; Mk 9,47; Lk 18,17; Joh 3,5). Paulus ist damit zwar vertraut (1Thess 3,4), betont sonst jedoch die Gnade (vgl. V 24). An dieser Stelle soll es die Resilienz der Glaubenden im Angesicht von Widerstand stärken. Zum andern bieten Paulus und Barnabas Unterstützung, indem sie Älteste einsetzen, beten und fasten (vgl. Apg 13,2) und Gott alle anvertrauen, die zum Glauben gefunden haben. Neben der mentalen Stärkung legen sie also auch Wert auf eine belastbare Organisation der Gemeinde.

Mit knappen Worten wird anschliessend die Rückreise ins syrische Antiochia festgehalten (V24-26). Sie ziehen durch Pisidien und Pamphylien, kommen nach Perge, wo sie nochmals das Wort verkündigen, gehen dann hinunter zur Hafenstadt Attalia und kehren per Schiff nach Antiochia zurück. Von dort sind sie, wie Lukas in Erinnerung ruft, im Vertrauen auf die Gnade des Herrn aufgebrochen zu dem Werk, das sie nun vollendet haben. Der Erfolg der Mission wird also deutlich festgehalten. Schliesslich legen sie in Antiochia Rechenschaft ab (V27). Sobald sich die Gemeinde versammelt hat, berichten sie, was Gott alles durch sie getan und dass er allen Völkern die Tür zum Glauben aufgetan hat. Herausgestellt wird also, dass Gottes Gegenwart am Anfang steht, Paulus und Barnabas in ihrem Tun nichts als sie offenbaren und dass sie allen Menschen Zugang zu ihr eröffnen. Gottes Gegenwart ist ständig da, doch ist es ein anspruchsvoller, zuweilen belasteter Weg, sie zu erkennen und in den Herausforderungen des Lebens zu bestätigen, ihre Universalität zu erfassen und in das eigene Leben zu integrieren. Schliesslich wird erzählt, dass Paulus und Barnabas nach der strapaziösen Mission längere Zeit bei den Jüngern bleiben (V28). Die Pause ist der Übergang zu den Ereignissen, die dann folgen.

Das Nachdenken über diesen Predigttext macht deutlich, dass die Gegenwart Gottes, auch wenn sie jeden Moment geschenkt ist, ständig neu gesucht und konsolidiert werden muss. Sie wird dem Menschen erst in seiner eignen Resonanz, was sie bereits ist.

Grundlage ist also, dass die Gegenwart Gottes vor allem menschlichen Tun bereits da ist. Dieses Universum gibt es seit Milliarden von Jahren. Das menschliche Leben ist darin eine geringfügige Episode. Verschwindet das menschliche Leben auf diesem Planeten, wird es dieses Universum mit höchster Wahrscheinlichkeit weiterhin geben. Gott als Geheimnis der Gegenwart war, ist und bleibt in diesem kosmischen Prozess jeden Moment da – unvermischt mit der Materie, aber untrennbar in ihr gegenwärtig. Das Werk, zu dem Paulus im syrischen Antiochia aufgebrochen ist, ist bloss ein Anfang. Das Evangelium, das er verkündet, gilt nicht nur den Juden, sondern allen Völkern. Die Botschaft, die darin steckt, ist eine kosmologische Einsicht, die jede anthropozentrische Verengung verbietet. Gott ist nicht nur in Menschen, sondern in aller Materie gegenwärtig. Im Angesicht des heute aktuellen, postmodernen Hyperanthropozentrismus kann dies nicht deutlich genug festgehalten werden. Auch wenn ich als Mensch von meiner Subjektivität, meiner Perspektivität, meiner vielfältigen Bestimmtheit bedingt bin, so ist mir das Geheimnis der Gegenwart stets so unmittelbar gegenwärtig, wie ich es mir selbst gegenüber nie sein kann. Ob ich es realisiere oder nicht – ich bin hier und jetzt bereits in Gottes Gegenwart. Alle Materie war, ist und bleibt es ebenso, indem sie in der Zeit existiert.

Das Geheimnis der Gegenwart ist, was es ist, zwar auch unabhängig von der menschlichen Resonanz, offenbart in ihr jedoch ihre bedingungslose Freiheit. Sind Menschen in Gottes Gegenwart, realisieren sie, dass darin jeden Moment deren Freiheit gegenwärtig wird. Ihre Spur zeigt sich ebenso im grossen Spiel dieses Universums wie in ihrem eigenen kleinen Leben. Doch damit diese Freiheit offenbar wird, muss Gottes Gegenwart konsolidiert werden. Deshalb unterwerfen sich Paulus und Barnabas der strapaziösen Nacharbeit in den bereits besuchten Gemeinden, deshalb sorgen sie für belastbare Gemeindestrukturen. Die Gemeinschaft derer, welche die Gegenwart Gottes miteinander teilt, bedarf der gegenseitigen Stärkung und Ermutigung, um dem Weg in die Freiheit der Gegenwart Gottes auch in Mühen und Nöten, Ablenkungen und Verwirrungen treu zu bleiben. Die einen mögen darin gefestigt sein, die andere mögen sich rasch verunsichern lassen – Momente der Schwachheit sind menschlich, gegenseitige Unterstützung ist unentbehrlich. Deshalb gehören Prozesse der Konsolidierung konstitutiv zu einer Gemeinschaft, die diesen Weg miteinander gehen und die Freiheit von Gottes Gegenwart leben will.

Schliesslich impliziert dies, dass der Weg in Gottes Gegenwart immer den Kontexten unterworfen bleibt, in denen er gegangen wird. Wer diesen Weg geht und Gottes bedingungslose Freiheit realisiert, findet sich ständig im Spiel einer Gemeinschaft, ja dieses Universums, wieder, das in Gottes Gegenwart gespielt wird. Das Mitspielen in diesem Spiel kann verweigert werden, doch ein prinzipieller Ausstieg ist aufgrund der eigenen Zeitlichkeit unmöglich. Paulus und Barnabas legen deshalb in der Gemeinde Antiochias, die sie für ihre Mission beauftragt hat, Rechenschaft ab. Sie zeigen damit, dass sie sich der Gnade in der Gebrochenheit dieser Gemeinde unterstellen, und machen so deutlich, dass auch für sie die Freiheit von Gottes Gegenwart, seine Liebe und Weisheit, stets nur im Abgrund der Demut gegenwärtig ist, wie er sich im konkreten Hier und Jetzt auftut. Als Werkzeuge von Gottes Gegenwart schweben sie mit den Kontexten, die sie mitbringen, nicht über denen, in welchen sie ihr Werk ausführen, sondern sind diesen unterworfen. Deutlich wird damit dies: Will ich den Weg in die Freiheit der Gegenwart Gottes gehen, führt er mich in meine Demut, diese Freiheit in genau dort und dann zu suchen und zu leben, wo ich mich gerade befinde. Ich bin zum Spielen befreit, aber zum Spiel, in dem ich hier und jetzt stehe.

Die Forderung, im Moment zu leben, klingt banal und abgedroschen. Doch sie hat es in sich. Sie fordert dazu auf, nicht ständig nach mehr und anderem zu suchen, sondern zuerst und vor allem den Weg in die Gegenwart Gottes zu konsolidieren. Nur so entfaltet sie die Fülle ihrer Liebe und Weisheit, nur so beschenkt sie mit jener Freude, die unmittelbar glücklich macht. Beten wir also, dass wir lernen, uns in Gottes Gegenwart zu verankern und ihre Freiheit mit andern zu teilen. Amen.

Predigt vom 12. Januar 2025 in Wabern
Bernhard Neuenschwander

PDF Datei herunterladen