Unconditional openness

Unconditional openness

Als aber die Apostel in Jerusalem vernahmen, dass Samaria das Wort Gottes angenommen hatte, sandten sie Petrus und Johannes zu ihnen. Die kamen herab und beteten für sie, dass sie den heiligen Geist empfangen möchten – er war nämlich noch auf keinen von ihnen herabgekommen, sie waren erst auf den Namen des Herrn Jesus getauft. Dann legten sie ihnen die Hände auf, und sie empfingen den heiligen Geist. Als nun Simon sah, dass durch die Handauflegung der Apostel der Geist gegeben wurde, bot er ihnen Geld an und sagte: Gebt auch mir diese Vollmacht, dass jeder den heiligen Geist empfängt, dem ich die Hände auflege. Petrus aber sprach zu ihm: Ins Verderben mit dir und deinem Geld! Du hast wohl gemeint, die Gabe Gottes mit Geld erwerben zu können. Du hast weder Anteil an dieser Sache noch ein Anrecht darauf, denn deine Gesinnung gegenüber Gott ist nicht lauter. Wende dich ab von deiner Bosheit und bete zum Herrn; vielleicht wird dir dieses Ansinnen vergeben werden. Denn ich sehe dich hineingeraten in bittere Galle und in die Fänge des Unrechts. Simon entgegnete: Betet ihr für mich zum Herrn, dass nichts von dem, was ihr gesagt habt, über mich komme. Nachdem sie Zeugnis abgelegt und das Wort des Herrn verkündigt hatten, kehrten sie nach Jerusalem zurück; unterwegs verkündigten sie in vielen Dörfern Samarias das Evangelium. Apg 8,14-25

Wie könnte Gott jemals in Worte gefasst und mit Worten verfügbar gemacht werden! Gott mag jeden Moment gegenwärtig sein, Gott mag sich in allem, was es gibt, zeigen, und das Geheimnis, dass es diese Welt gibt, mag Gott jeden Augenblick bezeugen. Doch begreifen lässt sich dieses Geheimnis mit Worten nicht. Es ist bedingungslose Offenheit. Ist diese Offenheit gegenwärtig, stellt sich keine Frage und löst sich jede Antwort auf. Es gibt Evidenz, und es bedarf keiner Erklärung. Fehlt hingegen diese mystische Evidenz, lässt sich weder präzise nach Gott fragen, noch eine klare Antwort geben. Weshalb also von Gott reden? Weshalb sich mit etwas beschäftigen, was sich jeder Verfügbarkeit entzieht?

Der österreichisch-britische Sprachphilosoph Ludwig Wittgenstein hat diese Fragen in seinem Tractatus logico-philosophicus ganz präzise gestellt und beantwortet. «Nicht wie die Welt ist, ist das Mystische, sondern dass sie ist.»[1] Nach diesem Dass aber lässt sich nicht fragen, und entsprechend gibt es darauf auch keine Antwort. Es zeigt bloss die Begrenztheit der Welt. «Das Gefühl der Welt als begrenztes Ganzes ist das mystische.»[2] Wird dies ganz unmittelbar erfahren, lösen sich die Zweifel auf. «Es gibt allerdings Unaussprechliches. Dies zeigt sich, es ist das Mystische.»[3] Das Geheimnis des Daseins zeigt sich jeden Augenblick. Nur kann man darüber nicht sprechen, und «wovon man nicht sprechen kann, darüber muss man schweigen.»[4] Also bleibt das Geheimnis stehen, doch auch wenn es sich ganz offensichtlich zeigt, ist es kein Thema, über das man sprechen kann. Seine Unverfügbarkeit entzieht es der Sprache und beschränkt es auf etwas, über das man schweigen muss.

Wittgenstein argumentiert äusserst hellsichtig, und unsere postchristliche Zeit ist ihm zu einem guten Teil gefolgt. Sie hat aufgehört, von Gott zu sprechen, und sie hat das Geheimnis, das sich doch so unmittelbar in jedem Moment zeigt, aus dem Blick verloren. Ob es daran liegt, dass sie viel spricht und wenig schweigt? Dass sie mit der Stille wenig vertraut ist? Es ist ja nicht verkehrt, sich zuerst an das zu halten, was verfügbar ist. Wenigstens sind darüber klare Aussagen möglich. Nur eben: «Wir fühlen, dass, selbst wenn alle möglichen wissenschaftlichen Fragen beantwortet sind, unsere Lebensprobleme noch gar nicht berührt sind.» [5] Für Wittgenstein fordern die Lebensprobleme das Schweigen ein, um festzustellen, wie sich darin die Fragen auflösen und die unmittelbare Evidenz zur Antwort wird.

Was Wittgenstein sprachphilosophisch beschreibt, manifestiert sich heute in allem, was sich verfügbar machen lässt. Allgegenwärtiges Kommunikationsmedium ist das Geld. Frei von kulturellen Schranken lassen sich mit Geld auf analoge und digitale Weise Informationen global verschieben. Geld lässt sich beliebig in andere Währungen oder Güter konvertieren. Die Verfügbarkeit durch Geld lässt sich bis zum Äussersten maximieren. Geld ist das Medium der Verfügbarkeit. Die Macht und Dominanz, die es verschafft, wird sofort ebenso für denjenigen spürbar, der es hat, wie für denjenigen, der es nicht hat. Umso stärker verdrängt es indes, was sich seinem Zugriff verweigert: das Geschenk, das sich reiner Liebe verdankt, sich nicht verrechnen lässt, weder käuflich noch unverkäuflich ist und sich jedem ökonomischen Kalkül entzieht. Das ultimative Geschenk ist das Geheimnis der bedingungslosen Offenheit unseres Daseins. Es «zeigt» sich zwar jeden Moment, doch lässt es sich genauso wenig verrechnen wie beschreiben. Frei nach Wittgenstein gilt deshalb auch dies: Was sich ökonomisch nicht verrechnen lässt, darüber muss man schweigen – mit Bedacht schweigen.

Unser Predigttext gibt uns genau das zu bedenken. Er erzählt von Simon Magus, von Simon dem Magier, der zur Erweiterung seiner Künste Geld für die Vollmacht anbietet, durch Handauflegung den Heiligen Geist geben und so über ihn verfügen zu können. Voraus geht der Erzählung eine Geschichte von Philippus, einem Mann, der mit Stephanus zu den sieben Weisen gehört und sich durch Geist und Weisheit auszeichnet (Apg 6,5). Erzählt wird, dass Philippus nach der Steinigung des Stephanus in die Hauptstadt Samarias geht, das Evangelium verkündet und viele Menschen überzeugt. Auch Simon Magus, der mit seinen Künsten Gross und Klein in Bann zieht, ist von ihm beeindruckt. Zusammen mit vielen Männern und Frauen kommt Simon zum Glauben und lässt sich taufen; denn er ist fassungslos angesichts der grossen Zeichen und Wunder, die durch Philippus geschehen (Apg 8,5-13).

Hier setzt unser Predigttext ein. Die Apostel in Jerusalem vernehmen, dass viele in Samaria das Wort Gottes angenommen haben. Sie schicken deshalb Petrus und Johannes zu ihnen (V14). Sobald diese angekommen sind, beten sie darum, dass diejenigen, die das Wort angenommen haben, den heiligen Geist empfangen mögen. Zwar sind sie auf den Namen des Herrn Jesus getauft, doch ist der Geist noch auf keinen von ihnen herabgekommen (VV15f). Herausgehoben wird also, dass die Taufe als Akt des menschlichen Willens zur Umkehr nicht auch schon die Gabe des heiligen Geistes impliziert (vgl. Apg 2,38; 19,4-6). Diese Gabe bleibt unverfügbares Ereignis der Gegenwart Gottes. Zeichenhaft wird dies im Folgenden angedeutet: Als ihnen die Apostel die Hand auflegen, empfangen sie den heiligen Geist (V17). Deutlich gemacht wird auf diese Weise, dass der heilige Geist auch für die Getauften unverfügbar bleibt. Erzählt wird nun, dass Simon Magus zwar sieht, was geschieht, das Geschehen jedoch falsch interpretiert. Er meint verstanden zu haben, dass es die pure Handauflegung der Apostel ist, durch die der Geist gegeben wird, dass darin also die Vollmacht steckt, den Geist zu geben, wem die Hände aufgelegt werden. Was genau ihn zu diesem Verständnis bringt, wird nicht ausgeführt. Entscheidend ist, dass auch er diese Vollmacht besitzen möchte und dass er deshalb den Aposteln Geld anbietet, sie zu erwerben (VV18f). Offenbar versteht er den heiligen Geist als Gut, das dem Menschen verfügbar ist und mit Geld erworben werden kann. Dafür wird es von Petrus harsch kritisiert (VV20-23). Zunächst weist in Petrus mit einem Fluchwort zurück: «Ins Verderben mit dir und deinem Geld!» Weil er meine, die Gabe Gottes mit Geld erwerben zu können, habe er weder Anteil an dieser Sache noch ein Anrecht darauf. Seine Gesinnung gegenüber Gott sei nicht lauter. Er solle sich deshalb von seiner Bosheit abwenden und stattdessen zum Herrn beten. Vielleicht würde dieser sein Ansinnen vergeben. Bereits sehe er ihn in bittere Galle und in die Fänge des Unrechts hineingeraten. Für Petrus ist also klar, dass Simon von einer teuflischen Versuchung geritten wird und nicht die Freiheit Gottes im Blick hat, sondern darauf aus ist, seine Hand auf diese Freiheit zu legen und die bedingungslose Offenheit Gottes zu vereinnahmen. Gegenüber der scharfen Kritik von Petrus reagiert Simon ambivalent (V24). Er bittet die Apostel zwar darum, für ihn zu beten, damit nicht auf ihn komme, was ihm Petrus angedroht habe. Seine Bitte bleibt indes ganz auf sein eigenes Wohl beschränkt und ist nicht darauf ausgerichtet, die Gegenwart von Gottes unverfügbarer Offenheit gelten zu lassen. Die Fortsetzung handelt nicht mehr von Simon Magus, sondern berichtet eine weitere Geschichte von Philippus (VV26-40).

Die Geschichte von Simon Magus hat eine beeindruckende Aktualität. Offensichtlich stärkt der heutige Wohlstand, verbunden mit all seinen historisch präzedenzlosen technischen Möglichkeiten, den Glauben, dass sich die Grenzen des Verfügbaren immer weiter überschreiten lassen und dass sich dem Zugriff des Menschen letztlich kaum etwas entziehen kann. Selbstredend gehören dazu auch Religion und Spiritualität. Wie sollte das, was sich als heiliger Geist in Worte fassen lässt, nicht mit Geld erworben und verfügbar gemacht werden können? Ist mit genügend Geld nicht letztlich alles verfügbar, was auch mit Worten verfügbar ist?

Und noch mehr: Es scheint ein Naturgesetz zu sein, dass verfügbar gemacht wird, was verfügbar gemacht werden kann. Das Gesetz zunehmender Entropie bringt es auf den Punkt. Trifft ein System grösserer Energie auf ein System geringerer Energie, macht es sich dieses verfügbar und strebt das Gleichgewicht an. Der deutsche Physiker Rudolf Clausius hat diese Einsicht bereits 1850 formuliert, und heute ist sie als 2. Hauptsatz der Thermodynamik breit akzeptiert. Im Alltag lässt sie sich leicht beobachten: Giesse ich warmes und kaltes Wasser zusammen, wird die Differenz von warm und kalt zerstört, und die Temperatur ist über kurz oder lang ausgeglichen. Dieser Vorgang ist ohne Energie von aussen irreversibel. Ebenso wird der Schaum in einem Bierglas im Handumdrehen zu Flüssigkeit. Ein aufgeräumter Schreibtisch ist ohne ständiges Bemühen um Ordnung bald wieder ein Chaos. Im inneren Haushalt eines Menschen werden freie Kapazitäten rasch von Gedanken, Gefühlen und Pendenzen überflutet. Das Gesetz des Stärkeren illustriert es in der Natur, und der aktuelle russische Angriffskrieg auf die Ukraine ruft in Erinnerung, dass es auch in der Politik gilt. Das Gesetz zunehmender Verfügbarkeit und Auflösung von Differenz scheint etwas Grundlegendes sein, das nicht nur Menschen bestimmt, sondern ebenso für die Natur und den ganzen Kosmos gilt.

Die grossen Religionen haben dieses Gesetz auf ihre Weise beschrieben, ihm aber entgegengehalten. So stellt der christliche Glaube Gott als Geheimnis der Gegenwart in die Mitte und behauptet, dass dessen Unverfügbarkeit und bedingungslose Offenheit in allem, was es gibt, unverhandelbar sind. Er anerkennt, dass das Geheimnis der Gegenwart zwar ständig bedroht ist. Diese Bedrohung wird zuweilen moralistisch verengt, doch bleibt ihre kosmologische Dimension im Blick. Ihre Ursache nennt er hebräisch «Satan», Ankläger der Macht Gottes, griechisch «Diabolos», Durcheinanderbringer der gottgeschaffenen Ordnung, oder «Herrscher dieser Welt». Aber der christliche Glaube ist davon überzeugt, dass der apokalyptische Kampf gegen diesen Widersacher deutlich macht, dass die Gegenwart Gottes die entscheidende Kraft ist, die mit ihrer Liebe und Weisheit am Werk ist, Differenzierung und eine neue Schöpfung schafft und sich durchsetzt.

Nun ist auch in postchristlicher Zeit zu bedenken, dass jeder Versuch, diese Dynamik in Worte zu fassen, dem Risiko ausgesetzt ist, sich das Unverfügbare verfügbar zu machen. Das Reden von Gott wird leicht zur teuflischen Versuchung, Gott für eigene Zwecke zu vereinnahmen – die Kirchengeschichte bietet dazu reichlich Material. Umso wichtiger ist deshalb, der bedingungslosen Offenheit standzuhalten. Diese Offenheit ist die Mystik der Natur, die Mystik des Universums. Ihr gegenüber gibt es nur das demütige Schweigen, das diese Offenheit nicht in Worte zu fassen versucht, umso mehr aber auf das Wort der Stille hört. Ständig ist sie gegenwärtig, doch ständig ist der Einsatz von Energie nötig, ihre Gegenwart nicht dem Gesetz der Verfügbarkeit zu opfern und stattdessen als Energiequelle zur Geltung kommen zu lassen. Dieses Geheimnis des Kosmos zu realisieren, das der Glaube als Gegenwart Gottes versteht, macht weit und offen, um bedingungslos wahrzunehmen, was sich zeigt. Es befreit und erlöst – mitten im allgegenwärtigen Gesetz der Verfügbarkeit und Nivellierung. Wie könnten wir heute darauf verzichten wollen!

Keine Frage: Das Gesetz, uns unsere Welt durch Sprache, Geld und all unseren technischen Mitteln verfügbar zu machen und ins Gleichgewicht zu bringen, steckt in unserer Natur. Er schafft ein Früher und ein Später, also Veränderungen und Prozesse, die irreversibel sind und im besten Fall das Wohl von Mensch und Natur fördern. Doch mitten in diesem Gesetz steckt das Geheimnis bedingungsloser Offenheit. Der christliche Glaube versteht es als Freiheit der Gegenwart Gottes, und er erkennt darin eine Liebe und Weisheit, die sich weder in Worte fassen noch mit Geld verrechnen lässt, sich aber jeden Moment im Schweigen zeigt. Beten wir deshalb, dass wir mit dieser bedingungslosen Offenheit vertraut werden und in ihr leben lernen. Amen.  

[1] Wittenstein, Ludwig (1984): Tractatus logico-philosophicus, Werkausgabe in 8 Bänden. Frankfurt a.M.: Suhrkamp, 84.
[2] Ebenda.
[3] Ebenda, 85.
[4] Ebenda.
[5] Ebenda.

Predigt vom 27. August 2023 in Wabern
Bernhard Neuenschwander

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