The struggle for careful dealings

The struggle for careful dealings

Denn viele wandeln, von denen ich euch oft gesagt habe, jetzt aber auch
mit Weinen sage, [ich meine] die Feinde des Kreuzes Christi, deren Ende Verderben ist,
deren Gott der Bauch ist und deren Ehre in ihrer Schande besteht, die auf das Irdische
sinnen.
Phil 3,18-19Liebe Gemeinde
Die Feinde des Kreuzes enden im Verderben, ihr Bauch ist ihr Gott, ihre Ehre ist ihre
Schande, sie sinnen auf das Irdische. Mit diesen drastischen Worten beschreibt Paulus
die Feinde dessen, was ihm im Zentrum seiner Theologie steht: das Kreuz Christi. So
engagiert er für die Botschaft des Kreuzes einsteht, so vehement bekämpft er auch die,
sie ablehnen. Ein leidenschaftlicher Theologe tritt hier für seine Sache ein, sucht zu
überzeugen und Menschen zu gewinnen, die seine Botschaft annehmen.
Leidenschaftliches Ringen um Glaubensüberzeugungen weckt bei uns heute schnell und
berechtigterweise Misstrauen. Zuviel Blut ist im Laufe der Kirchengeschichte wegen des
Glaubens geflossen, zuviel Gewalt ist aus und legitimiert mit religiösen Überzeugungen
ausgeübt worden, zuviel Unheil ist von vermeintlichen Heilsbringern in die Welt
gekommen. Wir wissen heute nur allzu gut, wie schnell religiöse Überzeugtheit in
Fanatismus umschlägt und wie leicht religiöse Leidenschaft in Fundamentalismus kippt.
Mit diesen Erfahrungen der Geschichte – und der Gegenwart ! – fällt es uns nicht leicht,
die polemischen Worte von Paulus anzunehmen und zu würdigen. Die Abwertung und
Verachtung, die sie zum Ausdruck bringen – und Paulus benutzt einige Verse früher noch
derbere Formulierungen – gehören für uns zu einem Konfliktstil, den wir zu Recht
überwinden wollen. Auch wenn wir untereinander unterschiedliche Meinungen haben, so
erwarten wir heute voneinander doch, dass wir einander in unseren Verschiedenheiten
akzeptieren und dass wir uns trotz unseren Differenzen respektieren. Pluralität ist für uns
heute ein Wert geworden, den wir hoch halten, und Toleranz eine Tugend, die wir
schützen wollen.
Es liegt mir fern, dies in Frage zu stellen. Ich stelle aber auch fest, dass wir aufgrund
dieser Haltung dazu neigen, das Kind mit dem Bade auszuschütten. Den Glauben kann
und soll man durchaus kritisieren. Aber das Ziel der Kritik müsste ein Glaube sein, der
durch die Krise gereinigt und gefestigt, aber nicht geschwächt oder gar beseitigt wird. Hält
man sich den Glauben aus Angst vor Missbrauch vom Leibe, vergibt man sich auch die
Kraft und die Weisheit, die er enthält. So an den Rand gedrängter Glaube wird für uns bald
zu einem Relikt vergangener Zeiten bzw. vergangener Winkel der Seele, von denen man
nur hoffen kann, dass man sie in nicht allzu ferner Zeit überwinden kann.
Was Paulus mit seiner Botschaft vom Kreuz sucht, ist etwas ganz anderes. Ihm geht es
nicht, wie dies in der Geschichte des Christentums mehrfach geschehen ist, darum, das
Kreuz auf die Fahnen zu setzen und mit ihm in den Krieg zu ziehen. Ihm geht es darum,
dass wir uns vom Kreuz selber treffen lassen; dass wir uns durch das Kreuz unserer
eigenen Gebrochenheit und Verletzlichkeit und Bodenlosigkeit bewusst werden; dass wir
durch die Annahme des Kreuzes uns selbst in unserer Schwäche annehmen; dass wir uns
auf diesem Weg auch mit unseren Mitmenschen und unserer Welt in ihrer
Unvollkommenheit versöhnen. Wenn Paulus so energisch um die Botschaft des Kreuzes
kämpft, tut er dies aus Sorge um uns selbst, um unsere Schwäche, unsere Gebrochenheit,
unsere Schuld und Angst; denn er glaubt, dass aus der Sorge um uns selbst eine Sorge
um andere Menschen und um unsere Welt entsteht. Wer sich vom Kreuz treffen lässt,
ringt darum, mit der eigenen Schuld und Angst ins Reine zu kommen, Schuld und Angst
zu akzeptieren und Menschen, die von Schuld und Angst getrieben sind, mit
Barmherzigkeit und Verständnis zu begegnen. Das Ringen von Paulus um die Botschaft
vom Kreuz ist deshalb ein Ringen um den Glauben an die Kraft der Liebe und um die
Weisheit des Sehens und Gestaltens der Welt, so wie sie ist. Es ist ein Ringen um
Wahrhaftigkeit, um Standfestigkeit – ein Ringen um Glauben also, aber ein Ringen im
Wissen, dass man all diese Dinge nicht ein für alle Male besitzen kann, sondern immer
wieder nur neu suchen und in die Tat umsetzen muss. Für diesen Kampf hat Paulus nicht
sein Schwert gezogen, sondern ertragen, immer wieder ins Gefängnis gesetzt, gefoltert
und schliesslich in Rom hingerichtet zu werden. Bei aller Heftigkeit ist es für Paulus ein
Kampf geblieben, den er gewaltlos gekämpft hat. Er hat gleichsam leidenschaftlich um
Gewaltlosigkeit gekämpft.
Die Feinde des Kreuzes enden im Verderben, ihr Bauch ist ihr Gott, ihre Ehre ist ihre
Schande, sie sinnen auf das Irdische. Paulus sieht keine Hoffnung für die Feinde dessen,
was er mit der Botschaft des Kreuzes meint. Sie enden im Verderben. Wer sich durch das
Kreuz nicht mit der eigenen Schwäche konfrontieren lassen will, lernt nicht, diese
anzunehmen, zu sich und andere Sorge zu tragen und einen sorgsamen Lebensstil zu
kultivieren. Anstatt mögliche Probleme mit massvoller und kluger Prävention abzufedern
sowie die eigenen und fremden Schwächen, Fehler und Begrenztheiten einzubeziehen
und zu verarbeiten, wird er von ihnen überrollt. Wer sich durch das Kreuz nicht an die
Sorge um sich erinnern lässt, bleibt den Dramen des Schicksals ausgeliefert. Paulus
charakterisiert die Feinde des Kreuzes deshalb zunächst damit, dass sie sich selbst
schaden: sie enden im Verderben.
Nachdem er die Wirkung auf die Feinde des Kreuzes festgehalten hat, beschreibt er auch
die Ursache: Die Feinde des Kreuzes verwechseln Himmel und Erde. Sie vergötzen ihren
Bauch und ihre Ehre und sinnen auf das Irdische. Es ist ja durchaus auch die Meinung von
Paulus, dass der Himmel auf die Welt kommt. Himmel und Erde sind für ihn keine
getrennten Regionen. Paulus sieht den Himmel im Gekreuzigten durchaus auf die Erde
kommen. Aber eben im Gekreuzigten. Dort also, wo es Raum und Zeit für die Sorge um
sich und um die andern gibt; dort, wo man die Stärke Gottes in der menschlichen
Schwäche sucht; dort, wo man die Momente der Auferstehung in den Spalten den Welt
entdeckt. Die Welt bleibt dadurch Welt, und Gott bleibt Gott. Aber man sieht, dass sie sich
durchdringen und verschränken; dass das Zeitliche im Ewigen ist und das Ewige im
Zeitlichen; dass wir in Gott Gott sind, dass Gott in uns Welt ist. Dies ist etwas völlig
anderes als die Vergötzung der Welt, derer Paulus die Feinde des Kreuzes anklagt; denn
wo die Welt vergötzt wird, geschieht nicht eine Durchdringung von Himmel und Erde,
sondern eine Vereinnahmung des Himmels durch die Erde. Eine Götze setzt ein Stück
vergängliche Welt absolut und verweigert Gott, frei zu sein. Er ist deshalb eine Maske des
Teufels.
Die Feinde des Kreuzes enden im Verderben, ihr Bauch ist ihr Gott, ihre Ehre ist ihre
Schande, sie sinnen auf das Irdische. Die Feinde des Kreuzes, die Paulus in seiner Weise
beschreibt, sind nicht auf seine Zeit beschränkt. Jede Zeit hat ihre Feinde des Kreuzes
und muss sich darüber ihre Gedanken machen, wodurch das, was mit der Botschaft des
Kreuzes angesagt ist, bekämpft wird. Was also sind heute die Feinde des Kreuzes ? Was
ist dasjenige, das heute der Anerkennung eigener und fremder Schwäche im Wege steht
und die Sorge um sich und um andere verhindert ?
Eine grosse und komplexe Frage. Ich will dazu bloss 1 Antwort andeuten: die
Eigendynamik von Geschichten. Ich glaube, dass die Eigendynamik von Geschichten –
zwar nicht erst heute, aber heute mehr denn je – ein Hauptfeind des Kreuzes ist.
Natürlich meine ich damit nicht, dass man keine Geschichten erzählen oder hören soll.
Aber wie wir wissen, bleiben Geschichten nicht lange das, was sie einmal gewesen sind.
Geschichten werden ausgeschmückt, verändert und weitererzählt, und bald weiss man
nicht mehr genau, was einmal war und was später dazugekommen ist. Das Unheimliche
an Geschichten ist aber noch etwas ganz Anderes: Sie können selber zu Autoritäten
werden, an die wir glauben, die unsere Welt erklären und uns sagen, wie die Welt
funktioniert. Wir leben in Geschichten, hören und lesen weitere Geschichten, verweben sie
miteinander, lassen uns von dem Netz, das sie schaffen, bestimmen, und bald wissen
nicht mehr recht, was wahr und falsch ist. Alles kann in diesen grossen Text verwoben
werden, und dieser selbst produziert weitere Texte, verstrickt uns stärker in das Gewebe
von Worte und lässt Wortwelten um Wortwelten erstehen und vergehen, in denen wir
kaum mehr Raum und Zeit finden, zwischen den Worten das Schweigen und die Stille und
die Unmittelbarkeit des Kreuzes zu vernehmen und zur Geltung zubringen.
Dieses Thema zeigt sich im Kleinen und im Grossen. Wenn wir sagen müssen, wer wir
sind, erzählen wir von unserem Leben. Normalerweise identifizieren wir uns weitgehend
mit diesen Geschichten, im Guten und im Schlechten, erzählen Geschichten, in denen wir
bloss schlecht und recht mitgespielt haben, und Geschichten, die wir selber kreiert und
gesteuert haben. Das Ringen um diese Geschichten mit ihren vielen z.T. bekannten und
z.T. unbekannten Autoren ist ein Ringen um uns selbst. Therapeutische Prozesse sind
weitgehend Prozesse der Verarbeitung von Geschichten, die uns zu dem machen, was wir
heute sind.
Dasselbe ist aber auch im Grossen wahr. Da sind die zahllosen und weitgehend
anonymen Geschichten unserer Technologien, Programmen, Gesetzen und Reglementen,
die unserer Welt organisieren und verwalten, deren Autoren leicht in der Fülle der
Komplexität untergehen und nur allzu leicht eine Eigendynamik entwickeln, die nicht mehr
den Menschen dient, sondern sie beherrscht. Oder da ist die grosse und anonyme
Geschichte vom Markt, der sich selbst reguliert und eine Dynamik freisetzt, die allen, die
an diesem Markt teilnehmen, zugute kommt. Wir alle wissen, wie oft diese Geschichte
heute erzählt und geglaubt wird, und wir wissen auch, wie sehr sie uns Menschen prägt
und in unserem Verhalten bestimmt. Es ist eine Geschichte, die offensichtlich eine grosse
Eigendynamik freisetzt, eine Eigendynamik, die uns dazu führt und verführt, unsere
Verantwortung abzuschieben und uns einem immer härteren und schnelleren Wettbewerb
zu unterziehen. Es ist aber auch eine Geschichte, welche dem Glauben an die Wahrheit
der Botschaft vom Kreuz kaum mehr Raum und Zeit lässt, sich zu entfalten und ihn statt
dessen durch den Glauben an die Wahrheit von Angebot und Nachfrage ersetzt.
Es ist nicht mein Anliegen, diese Geschichten weiter zu spinnen. Die Botschaft vom Kreuz
ist die Botschaft, die uns dazu auffordert, durch die Eigendynamik von Geschichten
hindurchzublicken, ihre Brüchigkeiten, ihre Untiefen, ihre Irrungen und Wirrungen zu
erfassen, sie zu dekonstruieren und umso mehr die unmittelbare Gegenwart Gottes zu
suchen. Sie ist die Botschaft, die uns zur Sorge um uns und um unsere Welt motiviert.
Deshalb ermahnt uns Paulus so engagiert, den Feinden des Kreuzes entgegenzuhalten.
Deshalb ringt er um uns, uns nicht in die Eigendynamik von Geschichten zu verlieren und
jeder Geschichte aufzusitzen. Deshalb fordert er uns auf, kritisch zu bleiben und Gott
unser Leben in seiner Sorge um die Welt zur Verfügung zu stellen. Beten wir also darum,
die Sorge Gottes um uns und unsere Welt, die keine Geschichte dieser Welt ist, in all
unseren Geschichten zu entdecken und zur Geltung zu bringen. Amen.

Predigt vom 29. Januar 2006 in Wabern
Bernhard Neuenschwander

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