Wiederum ist das Reich der Himmel gleich einem Kaufmann, der schöne Perlen
suchte. Als er aber eine kostbare Perle gefunden hatte, ging er hin, verkaufte alles,
was er hatte, und kaufte sie.
Mat 13,45-46
Liebe Gemeinde
Was haltet ihr von einem Menschen, der all seine Ersparnisse dafür einsetzt, sich
endlich seinen Traum einer Chinareise zu erfüllen ? Wie denkt ihr über eine Frau, die
dazu bereit ist, ein finanziell gesichertes Leben bei ihrem Mann aufzugeben und sich
von ihm zu trennen, um unter bescheidenen Verhältnissen dem Ruf der Freiheit zu
folgen ? Wie steht ihr zu einem Mann, der viele Entbehrungen auf sich nimmt, um
irgend einmal doch noch den Annapurna im Himalaya zu erklettern ? Was geht euch
durch den Sinn, wenn ein begabter Mensch auf eine berufliche Karriere verzichtet,
um seiner tieferen Berufung nachzugehen ? So verschieden diese Beispiele sind,
gemeinsam ist ihnen doch dieses: es sind Beispiele, in denen Menschen ihren
„Traum“ zu verwirklichen suchen und dazu auf materielle Annehmlichkeiten
verzichten. Und es sind Beispiele, die derselben ökonomischen Logik folgen, wie
unser Predigttext.
Bereits diese Logik gibt einiges zu denken. Aber unser Predigttext verbindet sie auch
noch mit dem Himmelreich. Der Kaufmann, der schöne Perlen suchte, und dann, als
er eine kostbare Perle gefunden hatte, hinging, alles, was er hatte, verkaufte, und
diese Perle kaufte, wird ja mit dem Himmelreich verglichen. Das Himmelreich sei wie
dieser Kaufmann. Das gibt nun erst recht zu denken !
Es ist überhaupt nicht selbstverständlich, dass man sein Leben nach dieser
ökonomischen Logik lebt, und es ist nicht selbstverständlich, dass eine solche Logik
sinnvoll ist. Denn immerhin ist es eine Logik, die dazu drängt, mit hohem Einsatz zu
spielen und um des Ziels willen Armut in Kauf zu nehmen. Wir wissen alle, dass eine
solche Logik ethisch problematisch werden kann, wenn sie zur Legitimation von
egoistischen Ansprüchen benutzt wird. Wenn jemand zwar auch eigenen Verzicht
leistet, aber einen mindestens ebenso grossen von seiner oder ihrer Familie
abverlangt, um den nächsten Karriereschritt zu verwirklichen, dann mag das für die
betroffene Person eine tolle Herausforderung, für die übrigen Familienmitglieder aber
kann es eine Katastrophe sein. Die Aufforderung, die eine Perle zu erlangen, ist
keine Legitimation dafür, seine egoistischen Ziele durchzudrücken und zu
behaupten, dass der Zweck die Mittel heilige. Der Kaufmann verkaufte nur alles, was
er hatte, nicht auch das, das ihm nicht gehörte.
Aber er verkaufte alles, was er hatte, um die eine Perle zu kaufen ! Die eine kostbare
Perle, war ihm so viel Wert, dass er auf alles, was er hatte, verzichtete, weil er diese
Perle kaufen wollte. So egoistisch es auf der einen Seite sein kann, alles für die
Verwirklichung seiner Ziele einzusetzen, so wichtig ist es auf der andern Seite, diese
nicht aus den Augen zu verlieren. Man muss also wissen, was man will. Allerdings
will ich jetzt nicht danach fragen, was die kostbare Perle sein könnte. Das Wort von
der Perle ist nicht eine Maske für das Eigentliche, das man suchen müsste. Es gibt
nicht einen eigentlichen, geistigen Gehalt, der von einem uneigentlichen, materiellen
getrennt wäre. Ich folge der alten allegorischen Gleichnisauslegung bewusst nicht.
Entscheidend ist nach meinem Verständnis vielmehr genau das, was das Gleichnis
sagt: dass der Kaufmann alles, was er hatte, verkaufte, um die kostbare Perle zu
kaufen.
Es gibt viele Dinge, die man im Leben kaufen wollen kann. Was es ist, das man will,
spielt vom Gleichnis her gedacht gar keine Rolle – vorausgesetzt, man bezahlt seine
eigene Rechnung und überlässt sie nicht andern. Natürlich wird das Leben sehr
verschieden sein, je nach dem was die verfolgten Ziele sind. Aber dies sind bloss
Varianten desselben Spiels. Es gibt – mindestens in unserem Kulturkreis – viele
Arten, sein Leben zu leben, es gibt unzählige Berufsmöglichkeiten und Traumjobs,
und es gibt die unterschiedlichsten sozialen, materiellen und geistigen Ziele – seien
dies nun Wissen oder Macht, Ansehen oder Besitz oder seien dies Liebe und innere
Werte. All dies kann man mit gutem Gewissen anstreben, solange man die Kosten
für sein Verhalten selber bezahlt und nicht andern anhängt. Und man muss seine
Ziele nicht nur kennen, man muss ihnen auch treu bleiben, muss seine Träume wach
halten, und man darf sie nicht durch alltägliche Erfordernisse überdecken und
verwässern. Nur wenn man sie im Blick behält, den Willen zu ihre Verwirklichung
behält und sich ernsthaft darum kümmert, sie im Laufe des Lebens zu realisieren,
kann man sie erreichen. Der Kaufmann weiss, dass er schöne Perlen sucht; er will,
die kostbare Perle besitzen; und er tut das Nötige, um sie zu erwerben. Deshalb ist
es für ihn klar, dann, wenn sich ihm die Gelegenheit bietet, auf seinen übrigen Besitz
zu verzichten und die kostbare Perle zu erwerben.
Es ist einiges an persönlicher Freiheit nötig, um zu einem solchen Einsatz fähig zu
sein. Wer an seinem Besitz klebt, ist dazu nie in der Lage, und wer sich in seinen
Gütern wohlig eingerichtet hat, wird den Mut zu einem solchen Wagnis nie
aufbringen. Allzu mächtig sind für uns normalerweise die Gewohnheiten, und allzu
ängstlich halten wir normalerweise am Vertrauten fest. Und in der Tat: das Risiko ist
hoch. Was, wenn der Traum platzt und die erhoffte Erfüllung der Sehnsucht nicht
geschieht ? Was, wenn das erreichte Ziel bald schal und langweilig wird, oder der
Besitz schwieriger ist als erwartet ? Hat man dann nicht bloss viel verloren, sondern
auch nichts gewonnen ? Der Unternehmer, der weiss, was auf dem Spiel steht, wenn
er hohe Investitionen tätigt, braucht viel persönliche Freiheit gegenüber seinen
Ängsten und grosse Souveränität im Angesicht möglicher Schwierigkeiten. Aber: Nur
wer wagt, gewinnt, und nur wer den Mut zum Risiko hat, hat die Chance, dass sein
Traum in Erfüllung geht und die Suche nach schönen Perlen durch den Erwerb der
kostbaren Perle belohnt wird.
Das Himmelreich ist gleich einem Menschen, der sein Leben aus dieser persönlichen
Freiheit lebt. Einbeziehen müssen wir hier alles, was wir schon gesagt haben: dass
es nicht darum geht, seine Freiheit auf Kosten der Andern zu leben, sondern die
Verantwortung für den Preis, den das freie Leben kostet, selber zu übernehmen und
zu bezahlen; dass es aber wichtig ist, sich seine Ziele in Freiheit zu wählen und
etwas dafür zu unternehmen, dass seine Träume in Erfüllung gehen. Beide Seiten
dieser unternehmerischen Freiheit müssen einbezogen werden, um den Vergleich
mit dem Himmelreich nachzuvollziehen.
Der Vergleich selbst ist auffällig. Es ist doch sehr zu beachten, dass das Himmelreich
im Gleichnis einer bestimmten unternehmerischen Freiheit expliziert wird. Es ist
gewiss nicht so, dass das Himmelreich auf diese Weise mit einer bestimmten
ökonomischen Realität identifiziert würde, wohl aber wird es untrennbar mit einer
solchen verbunden. Wenn’s ums Himmelreich geht, geht es zugleich um etwas
Überökonomisches wie um etwas Ökonomisches. Das Himmelreich ist mehr und
anders als eine bestimmte Ökonomie, aber es geschieht nicht jenseits von, sondern
es geschieht als Ökonomie. Das Wort gesprochen wird auf diese Weise einerseits
einer unternehmerischen Freiheit, die sich und ihre Ziele zugunsten von andern
Menschen und dem Weg zu diesen Zielen zu relativieren in der Lage ist, die also
nicht vergisst, dass ihr das Himmelreich vorgeht und dass sie durch dieses geformt,
bestimmt und gefordert ist. Das Wort gesprochen wird damit aber andererseits auch
einer unternehmerischen Freiheit, die dazu aufgefordert ist, das Himmelreich durch
das Verfolgen ihrer Ziele und das Festhalten ihrer Träumen entstehen zu lassen und
konkret in der Welt zu verwirklichen, die also dazu berufen ist, das Himmelreich in
der Welt als Mit-Schöpferin Gottes zu kreieren. Beide Seiten sind dabei zu beachten:
die Kreation der Ökonomie durch das Himmelreich und die Kreation des
Himmelreichs durch die Ökonomie. Zusammenhalten sind beide Seiten durch die
unternehmerische Freiheit, die einerseits vom Himmelreich geschaffen ist und
andererseits das Himmelreich schafft.
Das ist allerhand. Im Kern freilich ist es ein Plädoyer dafür, sein Leben als
Unternehmen zu erfassen, das durch das Himmelreich kreiert wird und deshalb in
dankbarer Verantwortung darauf achtet, die Kosten, die es verursacht, selber zu
zahlen und nicht andern Menschen aufzubürden, das aber zugleich dem Auftrag
folgt, das Himmelreich auf dieser Erde zu kreieren und als Mit-Schöpfer Gottes zur
Verwirklichung seines Reiches mitzuarbeiten. Die Ökonomie eines solchen
Unternehmens bleibt riskant. Sie ist dazu aufgefordert, selbstverantwortlich die
eigenen Kosten zu übernehmen, um den grossen Lohn zu erhalten; und sie ist zu
vollem Einsatz gerufen, um die kostbare Perle zu erlangen. Voraussetzung bleibt,
dass sie in der Gradheit unternehmerischer Freiheit verwurzelt bleibt, sich nicht durch
Druck und Zwang von aussen oder innen verbiegen lässt, sondern standhaft und
senkrecht bleibt und sich so die Freiheit behält, alles, was man hat, zu verkaufen, um
die kostbare Perle zu kaufen. Beten wir deshalb darum, dass wir Gott treu bleiben
und seine Freiheit durch unsere Freiheit schöpferisch zur Geltung bringen. Amen.
Predigt vom 30. Juli 2006 in Wabern
Bernhard Neuenschwander