Security of love

Security of love

Da stand Paulus auf, gebot mit einer Handbewegung Schweigen und sprach: Israeliten und Gottesfürchtige, hört! Der Gott dieses Volkes hier, der Gott Israels, hat unsere Väter erwählt und dieses Volk gross gemacht in der Fremde, im Land Ägypten, und hat sie mit erhobenem Arm wieder herausgeführt von dort; und an die vierzig Jahre lang hat er sie in der Wüste getragen und ihnen sieben Völker in Kanaan unterworfen und ihnen deren Land zum Erbteil gegeben, für an die vierhundertfünfzig Jahre. Danach hat er ihnen Richter gegeben bis zu Samuel, dem Propheten. Von da an begehrten sie einen König, und Gott gab ihnen Saul, den Sohn des Kis, einen Mann aus dem Stamm Benjamin, für vierzig Jahre. Und als er ihn verworfen hatte, erhob er David zu ihrem König, dem er das Zeugnis ausstellte: Ich habe David gefunden, den Sohn Isais, einen Mann nach meinem Herzen, der in allem meinen Willen tun wird. Aus seiner Nachkommenschaft hat Gott, wie er es verheissen hat, für Israel den Retter heraufgeführt: Jesus. Vor dessen Auftreten hat Johannes dem ganzen Volk Israel eine Taufe der Umkehr verkündigt. Als Johannes aber der Vollendung seines Laufes nahe war, sagte er: Ich bin nicht der, für den ihr mich haltet! Aber seht, nach mir kommt der, dessen Schuhe von den Füssen zu lösen ich nicht würdig bin. Apg 13,16-25

Die Sicherheit Gottes ist die Sicherheit seiner Gegenwart. Eine andere Sicherheit vermag auch der Glaube nicht zu geben. Das grosse Spiel der Weisheit Gottes spiegelt sich im Spiel der Evolution dieses Universums. Dieses Spiel hat seine Gesetzmässigkeit, seine Zuverlässigkeit, seine Regeln. Doch in diesem Spiel ist der Zufall stets mit von der Partie. Jeden Moment fallen die Würfel, jeden Moment werden sie neu geworfen. Es gibt keinen Masterplan, in welchem vorgezeichnet ist, was geschieht, keine absolute Logik, die den Verlauf des Universums determiniert. Gott ist als Geheimnis dieses Universum jenseits von Gut und Böse, jenseits von Wissen und Nichtwissen, jenseits von Kontrolle und Kontrollverlust – pure nichtduale, bedingungslose, wertfreie Gegenwart. In dieser Gegenwart geschieht Gottes Liebe zur Weisheit, und in dieser Gegenwart geschieht das Spiel des Universums, ganz von selbst, aus Gnade, ohne jedes Eingreifen, ohne jede göttliche Manipulation.

Diese bedingungslose Liebe Gottes zur Weisheit ist im offenen, nichtlinearen Spiel des Universums ständig gegenwärtig. Doch Menschen tun sich schwer mit ihr. Die Gegenwart dieser Liebe ist ein verzehrendes Feuer (Ex 24,17) – eine Konfrontation menschlicher Begrenztheit, des Bedürfnisses nach Sicherheit, des Eigenwillens. Diese Konfrontation mag heilsam sein, doch sie ist und bleibt eine Herausforderung. Menschen schaffen sich deshalb erträglichere Bilder von Gott, etwa Bilder einer höheren Macht, die alles in ihren Händen hält und trotz Widrigkeiten zum Guten führt. Diese höhere Macht mag zwar ihre dunklen Seiten haben, die schwer verständlich und erträglich sind, letztlich aber doch das Wohl des Ganzen im Blick behält. Solche Gottesbilder sind kaum mehr als patriarchales oder zumindest paternalistisches Wunschdenken. Sie erklären nicht, wie Gott dazukommt, als wohlwollender Vater oder wohlwollende Mutter all die Unfairness und mangelnde Fürsorge unter seinen bzw. ihren Kindern zuzulassen. Viel naheliegender ist heute deshalb für viele Menschen, sich radikal vom Glauben an einen solchen Gott zu verabschieden und das Leben selbst in die Hand zu nehmen. Was soll ein Gott, dessen dunkle Seiten unverständlich sind?

Diese postchristliche Zeit pendelt zwischen paternalistischen Gottesbildern und der völligen Ablehnung des Glaubens an Gott. Populistische Bewegungen zeigen es: Heutige Menschen kennen die Sehnsucht nach der umfassenden, gütigen Hand Gottes, die alles lenkt, oder dem starken Staat, der für alle sorgt, dem grossen Führer, der weiss, was nottut. Zugleich aber wollen sie tun und lassen, was ihnen beliebt und sich keiner Autorität unterwerfen. Attraktiv ist die Ablenkung, etwa das Scrollen auf Bildschirmen, um das Gesehene gleich wieder zu vergessen, das Driften in Informationskanälen, ohne den Inhalt aufnehmen und verarbeiten zu müssen. Um Sicherheit und Geborgenheit geht es bei diesem und bei jenem. Doch der Glaube an den Gott, der jenseits von jedem Dies und Das mit seiner Liebe zur Weisheit im Spiel des Universums ganz unmittelbar gegenwärtig ist, markiert einen dritten Weg zwischen traditionellen Gottesbildern und moderner Gottlosigkeit.

Versuchen wir, diesen dritten Weg auf dem Umweg über unseren Predigttext zu verstehen! Auch er ist darum bemüht, Sicherheit zu geben, doch er verliert nicht aus dem Blick, dass Sicherheit einzig und allein darin besteht, dass Gott gegenwärtig ist.

Mit unserem Predigttext haben wir den Beginn der ersten grossen Pauluspredigt der Apostelgeschichte vor uns. Paulus kommt zusammen mit Barnabas nach Antiochia in Pisidien, besucht am Sabbat die dortige Synagoge und nimmt am Gottesdienst teil. Nach der üblichen Lesung von Texten aus dem Gesetz und den Propheten lässt das Gremium, das der Synagoge vorsteht, den Gästen ausrichten, dass sie, wenn sie für das Volk, also alle Anwesenden, ein Wort des Zuspruchs haben, reden sollen. Paulus steht auf und gebietet mit der Geste des Rhetors Schweigen (Apg 13,13-16).

Hier setzt der Predigttext ein. Paulus spricht ebenso Israeliten und Gottesfürchtige an und fordert sie zum Hören auf (V16b). Zuerst gilt die Verkündigung Israel, sodann aber ebenso allen interessierten Heiden. Hier bilden sie eine Hörgemeinschaft. Dies entspricht lukanischer Theologie. Paulus dürfte sich bei seiner Predigt an den zuvor gelesenen Texten aus Gesetz und Propheten orientieren. Seine Botschaft blickt deshalb in ihrem ersten Teil auf die Geschichte Israels zurück. Die Intention, die ihn leitet, ist gut erkennbar: Er will herausstellen, dass die Gegenwart Gottes für Israel segensreich gewesen ist.

In Blick kommt zunächst der Anfang Israels (V17). Gott ist der Gott dieses Volkes, der Gott Israels. Er hat «unsere» Väter erwählt. Dieser Bezug zu den gemeinsamen Erzvätern schafft Gemeinschaft. Ihre Erwählung durch Gott zeigt, dass bereits sie in die Gegenwart Gottes gerufen sind. Das Volk, das aus ihnen hervorgegangen ist, hat Gott gross gemacht in der Fremde, in Ägypten, und von dort hat er es mit erhobenem Arm wieder herausgeführt. Das Leid der Knechtschaft in Ägypten kommt hier nicht in Blick. Entscheidend ist einzig und allein der Segen, der in der Gegenwart Gottes steckt. Dies zeigt sich ebenso in der Beschreibung der Wüstenwanderung bis zur Landnahme (V18-19). Gott hat das Volk Israel vierzig Jahre durch die Wüste getragen, hat ihm sieben Völker in Kanaan unterworfen und deren Land zum Besitz mit Erbrecht gegeben. Und das bis an die vierhundertfünfzig Jahre (V20a). Im Blick ist also die Königszeit bis zum Ende des Nordreichs oder dem Anfang des babylonischen Exils. Die heilsame Gegenwart Gottes bleibt konsequent im Zentrum.

Danach kommt kurz die Zeit der Richter, vor allem aber die Zeit Sauls und Davids zur Sprache (V20b-23). Mit Samuel, dem Propheten, endet die Zeit der Richter. Von da an begehrte das Volk einen König. Gott soll nun im König gegenwärtig sein. Er gibt dem Volk zunächst Saul, den Sohn des Kis, einen Mann aus dem Stamm Benjamins, für vierzig Jahre. Doch dies funktioniert nicht wirklich. Gott setzt deshalb Saul ab und erhebt David zum König. Ihm stellt Gott ein ausgezeichnetes Zeugnis aus: David, der Sohn Isais, ist ein Fund, ein Mann nach dem Herzen Gottes, der in allem Gottes Willen tun wird. Ebenso lange wie Gott das Volk durch die Wüste getragen hat, hat er Saul getragen, und ebenso wie er dem Volk damals das Land gegeben hat, hat er ihm nun einen König gegeben, in welcher er nach seinem Herzen gegenwärtig ist. Und mehr noch: Aus dessen Nachkommenschaft hat Gott, wie er es verheissen hat, für Israel den Retter heraufgeführt: Jesus. Unwichtig sind all die Jahrhunderte zwischen David und Jesus. Entscheidend ist hier einzig und allein, dass aus David, dem König, in welchem Gott mit seinem Herzen gegenwärtig ist, Jesus hervorgegangen ist.

Im zweiten Teil seiner Predigt wird Paulus darauf zu sprechen kommen, was es mit diesem Jesus auf sich hat (Apg 13,26-37). Hier will er aber zuerst deutlich machen, wie die Epoche seit der Erwählung der Väter und dem Fund von David als dem König nach Gottes Herzen zu ihrem Abschluss kommt (V24-25). Vor dem Auftreten Jesu hat nämlich Johannes der Täufer dem ganzen Volk Israel eine Taufe der Umkehr verkündet. Als er der Vollendung seines Laufs nahe ist, macht er indes klar, dass er nicht der ist, für den er gehalten wird, aber dass nach ihm derjenige kommt, dessen Schuhe von den Füssen zu lösen er nicht würdig ist. Die lukanische Einfärbung der Pauluspredigt wird damit nochmals deutlich. Denn es ist Lukas, für den die erste grosse Epoche von Gottes Gegenwart mit Johannes dem Täufer zum Abschluss kommt (Lk 16,16). Die Gegenwart Gottes in der Geschichte Israels verdichtet sich in der kommenden Epoche in Jesus und weitet sich durch ihn über Israel hinaus zu allen anderen Völkern (Apg 28,28) bis an die Enden der Erde (Apg 1,8).

Der heutige Predigttext will Plausibilität dafür schaffen, dass die Gegenwart Gottes mit ihrer Liebe zur Weisheit dasjenige ist, was Sicherheit in jedem Moment des Lebens gibt. Was sind die Gründe, die er zu bedenken gibt?

Zunächst macht er deutlich, dass diese Sicherheit keine Selbstverständlichkeit ist, sondern jeden Moment neu freigelegt werden will. Die bedingungslose Liebe von Gottes Gegenwart zur Weisheit ist zwar ständig gegenwärtig und dann und dort, wo sie ungehindert zur Entfaltung kommt, ein Segen. Doch ihre Präsenz ist im Getriebe der Zeit ein prekäres Ereignis. Ununterbrochen wirbeln Menschen Staub auf, lassen sich von diesem und jenem gefangen nehmen und verlieren das Hier und Jetzt aus dem Blick. Das ist völlig normal und geht allen gleich. Paulus ist sich dessen genau bewusst. Deshalb ergreift er das Wort und erinnert an die Gegenwart Gottes, deshalb spricht er alle an, Israeliten ebenso wie Gottesfürchtige. Die Israeliten mögen mit der Gegenwart Gottes in ihrer Geschichte besser vertraut sein als die Gottesfürchtigen. Garantie, dass sie deshalb im Moment sind, besteht dennoch nicht. Die Predigt von der Gegenwart Gottes ist ständig und für alle aktuell. Ich kann mit religiöser Praxis noch so gut vertraut sein. In der Gegenwart Gottes bin ich jeden Moment Anfänger. Der mystische Weg zwischen traditionellen Gottesbilden und Gottlosigkeit ist ein Weg, auf dem ich in der bedingungslosen Liebe Gottes zum Spiel der Weisheit stets am Anfang bin.

Allerdings schafft die Erinnerung, dass die Gegenwart Gottes in der Vergangenheit ein Segen gewesen ist, Unterstützung, um sich erneut auf sie einzulassen. Die Erinnerung bildet Plausibilität, löst Widerstand auf und gibt Motivation. Paulus erinnert deshalb zunächst an die gemeinsame Geschichte Israels. Seine Intention ist nicht, Neues zu sagen, sondern dem Bekannten einen Interpretationsrahmen zu geben, sodass darin seine Botschaft aufleuchtet. Bin ich in der Gegenwart Gottes, wird mir bewusst, dass meine Vergangenheit viel mehr ist als eine undefinierbare Menge isolierter Ereignisse. Blicke ich aus heutiger Sicht zurück, kann ich Zusammenhänge erkennen, Ketten von Ursachen und Wirkungen, Glück und Pech. Das ist noch keine Heilsgeschichte, die von grosser Hand geplant ist und schon kein Masterplan des Universums. Doch ich verstehe damit mein Hier und Jetzt im Kontext der Geschichte besser, sage Ja dazu und komme an, wo ich heute bin. Interpretiere ich meine Geschichte auf diese Weise, schafft dies Verbundenheit, Sinn und Motivation, den Weg in die Gegenwart Gottes zu gehen.

Der Weg in die Gegenwart Gottes will jeden Moment neu beschritten werden, und die Erinnerung, dass dies bereits in der Vergangenheit ein Segen gewesen ist, gibt Unterstützung. Erlebbar wird diese jedoch erst, wenn sie konkret benennbar wird. Paulus erinnert deshalb an die gemeinsamen Erzväter, das Volk, das Gott gross gemacht, aus Ägypten herausgeführt und durch die Wüste getragen hat. Er erinnert an die Landnahme, die Zeit der Richter, um über Saul zu David, dem König nach dem Herzen Gottes, und zu Jesus, um den es ihm schliesslich geht, zu gelangen. Alle diese Menschen stehen hinter dem, der die Gegenwart Gottes sucht, geben ihm Kraft und motivieren ihn, es ihnen gleich zu tun und den Weg in das Geheimnis des Moments zu beschreiten. Johannes der Täufer hat dazu nochmals eindringlich aufgerufen. In Jesus kommt dann derjenige in Blick, der als innerer Meister jeden Menschen auf dem Weg in die Gegenwart Gottes führt. Die konkrete Erinnerung an diese Kette von Menschen gibt Rückenstärkung und innere Stärke, doch exklusiv ist sie nicht. Jüdischer und christliche Glaube sind gleichermassen gefordert, nicht die Erinnerung an diese Menschen zu vergötzen, sondern zu erkennen und zu würdigen, wie Gott in ihnen gegenwärtig ist, dann aber Sicherheit in der Gegenwart Gottes hier und jetzt zu finden. Erinnerung ersetzt Selbstverantwortung für den Moment nicht, doch sie gibt ihr Kontext und Stärke für die konkrete Umsetzung.

Der Weg in die Gegenwart Gottes mit ihrer bedingungslosen Liebe zur Weisheit im Spiel der Evolution dieses Universums ist Sicherheit und Segen, aber bleibt prekär. Die Erinnerung an all die Menschen, die diesen Weg bereits gegangen sind, gibt Unterstützung, Gemeinschaft und Kraft. Aber sie nimmt das eigen Gehen nicht ab. Wer diesen Weg gehen will, muss in die Gegenwart Gottes treten und sich selbst auf ihre Liebe zum Spiel der Weisheit einlassen. Beten wir deshalb, dass wir von Gottes Gegenwart erfasst werden und in ihrem Spiel Sicherheit gewinnen. Amen.

Predigt vom 13. Oktober 2024 in Wabern
Bernhard Neuenschwander

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