Es sagte aber einer aus dem Volk zu ihm: Meister, gebiete meinem Bruder, das Erbgut mit
mir zu teilen! Er jedoch sprach zu ihm: Mensch, wer hat mich zum Richter oder Erbteiler über
euch eingesetzt? Darauf sagte er zu ihnen: Sehet zu und hütet euch vor aller Habsucht! Denn
auch wenn einer Überfluss hat, beruht sein Leben nicht auf seinem Besitz.
Er sagte aber ein Gleichnis zu ihnen: Das Land eines reichen Mannes hatte gut
getragen. Und er dachte bei sich selbst: Was soll ich tun, da ich keinen Raum habe, wohin ich
meine Früchte sammeln kann? Und er sagte: Das will ich tun: ich will meine Scheuen
abbrechen und grössere bauen und dorthin all mein Getreide und meine Güter sammeln und
will zu meiner Seele sagen: Seele, da hast viele Güter auf viele Jahre daliegen; ruhe aus, iss,
trink, sei fröhlich! Aber Gott sprach zu ihm: Du Tor! In dieser Nacht fordert man deine Seele
von dir; was du aber bereitgelegt hast, wem wird es zufallen? So geht es dem, der für sich
Schätze sammelt und nicht reich ist vor Gott.
Lk 12,13-21
Liebe Gemeinde
Was heisst es, reich zu sein vor Gott? Was zeichnet einen Menschen aus, der als reich vor
Gott betrachtet werden kann? Vieles gibt es, woran man als Antwort auf diese Frage denken
kann. Ist ein Mensch reich vor Gott, weil er vor Gott Gnade gefunden hat? Und heisst reich
sein an Gnade auch reich sein in materieller Hinsicht? Insbesondere der Calvinismus hat, wie
wir seit den Kapitalismusstudien von Max Weber wissen, eine grosse Affinität von Gnade und
Wohlstand gesehen: Der durch die göttliche Gnade Beschenkte ist dazu motiviert, die
erhaltene Gnade in Arbeit umzusetzen, sich mit Engagement in der Welt einzusetzen und es
zu materiellem Wohlstand zu bringen. Mit andern Worten, den Worten des scharfzüngigen
deutschen Philosophen Peter Sloterdijk: Glauben macht fit! Oder heisst reich sein an Gnade
gerade, dass man zuerst und vor allem als Glaubender, als innerer Mensch, reich ist, aber in
materiellen Dingen der Welt unterworfen ist, wie sie halt ist? Die lutherische Tradition hat viel
mehr in dieser Richtung gedacht und das Reich der Gnade deutlich vom Reich der Welt
unterschieden.
Viele Fragen stellen sich, und auf diese vielen Fragen kann man auch viele sehr
unterschiedliche Antworten geben. Und zwar nicht nur, wenn man die calvinistische und
lutherische Tradition vergleicht, sondern natürlich auch, wenn man in unsere Gegenwart
blickt. Die eine Frage jedoch zieht sich in verschiedenen Facetten immer wieder durch,
nämlich die Frage, ob Reichsein vor Gott etwas damit zu tun hat, dass man als alltäglicher
Mensch ganz konkret materiell und in seinem inneren Erleben reich ist, oder ob das
Reichsein vor Gott und das Reichsein in der Welt zwei ganz verschiedene Dinge sind, die
zuerst und vor allem nichts miteinander zu tun haben.
Betrachten wir auf der Suche nach einer Antwort auf diese schwierige und umstrittene Frage
einmal unseren Predigttext! Wir werden durch diesen einen Text gewiss keine
abschliessende Antwort erhalten, aber möglicherweise doch eine Idee, in welcher wir weiter
suchen können.
Vom Reichsein vor Gott ist in diesen Versen im Schlusssatz die Rede: So geht es dem, der
für sich Schätze sammelt und nicht reich ist vor Gott. Dieser Schlusssatz formuliert gleichsam
die Moral des vorangegangenen Gleichnisses. Für sich genommen fällt er durch die
Gegenüberstellung von „für sich Schätze sammeln“ und „reich sein vor Gott“ auf. Was
allenfalls Schätze sein könnten, wird nicht genau erläutert. Die Pointe liegt offenbar nicht
darin, dass es „Schätze“ gibt, sondern darin, dass man sie „für sich…sammelt“. Oder anders
gesagt: Schätze mag es viele geben; an Schätzen ist nichts anstössig; anstössig aber ist,
wenn man sie für sich sammelt; denn wenn man Schätze für sich sammelt, ist man nicht reich
vor Gott.
Diese Deutung des Schlussverses wird durch die vorangehenden Verse bestätigt. Es geht
hier ja um den Konflikt von miteinander teilen und miteinander besitzen auf der einen Seite
und zerteilen und für sich alleine haben wollen auf der andern. Dieser Konflikt kommt in zwei
Phasen zur Sprache: einer konkreten Situation, in welcher das Thema aufbricht und einem
Gleichnis als Antwort auf diese Situation.
Die Ausgangssituation besteht darin, dass „einer aus dem Volk“ – die Person wird nicht näher
beschrieben – an Jesus herantritt und ihn dazu auffordert, seinem Bruder zu gebieten, das
Erbe mit ihm zu teilen. Um dieses Ansinnen richtig einzuordnen, ist es gut zu wissen, dass es
zur Zeit Jesu in Palästina üblich war, dass das elterliche Erbe nicht geteilt, sondern als
Ganzes an den ältesten Sohn vererbt wurde. Man erwartete von dieser Regelung, dass
wenigstens für einige ein gewisser Wohlstand möglich werden könnte und nicht alle immer
mehr verarmen würden. Um die Ungleichheit etwas erträglicher zu machen, hatten die
Ältesten für ihre jüngeren Geschwister gewisse Verantwortlichkeiten zu übernehmen (vor
allem für die Witwen und ledig gebliebenen Töchter). Die jüngeren Geschwister konnten zwar
eine Erbteilung verlangen, doch wurde diese nicht gerne gesehen. Das ebenfalls lukanische
Gleichnis vom verlorenen Sohn zeigt dies auf eindrückliche Weise. Wenn nun also „einer aus
dem Volke“ mit diesem Anliegen an Jesus herantritt, dann tut er es in Auflehnung gegen
seine Tradition und zur Verbesserung seiner Lebensbedingungen. Mag man ihn aus unserer
heutigen Perspektive noch so gut verstehen, so muss man doch beachten, dass seine
Forderung aus damaliger Sinn weit anmassender war als aus heutiger.
Jesus reagiert auf seine Forderung unwirsch: Mensch, wer hat mich zum Richter oder
Erbteiler über euch eingesetzt? Jesus fühlt sich nicht dazu berufen, gegen das gewohnte
Erbrecht zu opponieren und als Richter und Erbteilen aufzutreten. Vielmehr hebt er zu einer
Warnung vor der „Habsucht“ an, weil auch der, der „Überfluss hat“, nicht in der Lage ist, sein
Leben zu besitzen. Im Hintergrund steht für Jesus offenbar der Gedanke, dass es richtig ist,
dass das Erbe beisammen bleibt, dass es dem Ältesten gehört, dass die Jüngeren zwar
Anrecht auf gewisse Hilfeleistungen von diesem haben, im übrigen jedoch das Familienerbe
in dessen Obhut lassen müssen und nicht habgierig etwas davon für sich selbst
beanspruchen dürfen. Jesus nimmt hier also Position gegen das Zerteilen des Familienerbes,
macht sich stark für dessen Einheit und kritisiert den Anspruch auf Zerteilung als Habgier. Er
akzeptiert damit die Situation, dass es durch Erbschaft Reichere und Ärmere gibt und lehnt
die Forderung nach einem Güterausgleich ab.
Dieser „eine aus dem Volk“, der sich vertrauensvoll an Jesus gewendet hat, wird mit Jesu
Antwort nicht glücklich gewesen sein. Insbesondere, wenn er einer der Armen aus dem Volk
war. Gleichsam zu dessen Trost, aber zur Erklärung an alle und ohne an der eigenen Position
Abstriche zu machen, fügt Jesus deshalb ein Gleichnis von einem reichen Mann an. Er zeigt
auf diese Weise, dass das, was für den „einen“ gilt, für einen Reichen nicht weniger zutrifft,
sondern alle, ob arm oder reich, gleicherweise einschliesst.
In diesem Gleichnis erzählt Jesus, dass ein reicher Mensch – man wird sich einen reichen
Bauern vorzustellen haben – vor einer grossen Ernte steht und nicht weiss, wie er mit diesem
Überfluss umgehen soll. Dieser Mann berät sich mit sich selbst und versucht in
Selbstgesprächen, zu einer Lösung zu kommen. Ohne an irgend jemand anders als an sich
selbst zu denken, beschliesst er, seine alten Scheunen abzureissen, grössere zu bauen, in
welche er all sein Getreide sammeln kann, sich auszuruhen, zu essen und zu trinken und
fröhlich zu sein. Doch es kommt anders. Unerwartet dringt in dieses Selbstgespräch des
reichen Mannes eine andere Figur ein. Jesus erzählt, wie auf einmal Gott zu diesem Mann
spricht: Du Tor! In dieser Nacht fordert man deine Seele von dir; was du aber bereitgelegt
hast, wem wird es zufallen? Denn selbst das Leben des Reichen, der so viele Güter und
grosse Pläne hatte, beruht „nicht auf seinem Besitz“. Gott bleibt beim Armen wie beim
Reichen derjenige, der über Leben und Sterben verfügt.
Was heisst es nach all diesen Überlegungen nun, reich zu sein vor Gott? Von dieser Frage
sind wir ausgegangen, auf sie will ich deshalb jetzt zurückkommen. Offenbar hat Reichsein
vor Gott und Reichsein in der Welt zunächst nichts miteinander zu tun. Die Forderung, vor
Gott reich zu sein, führt nicht zwangsläufig zu einer bestimmten Forderung in bezug auf das
Reichsein oder nicht Reichsein in der Welt. Das, worauf es ankommt, ist vielmehr, ob die
Frage nach dem Reichsein vor Gott für die Frage nach dem Reichsein in der Welt
wegweisend ist oder nicht. Den reichen Bauern im Gleichnis hat diese Frage nicht
interessiert. Er hat in seine Überlegungen nichts anders als sich selbst bzw. seinen Gewinn
und die Annehmlichkeiten, die ihm dieser in Aussicht stellt, einbezogen. Auch der eine aus
dem Volk, der Jesus als Erbteiler oder Richter angegangen war, hat diese Frage nicht
einbezogen. Für Jesus aber steht sie im Zentrum.
Steht die Frage nach dem Reichsein vor Gott im Zentrum, dann eröffnet sie einen Raum, in
welchem man realisiert, was man zu tun und was man zu lassen hat, damit die Dinge des
Lebens dorthin gelangen, wohin sie zu gehen haben. Dieser Raum ist weder ein innerer noch
ein äusserer Raum. Es ist vielmehr der Grenzraum zwischen beidem. Für den reichen Bauern
hätte das Realisieren dieses Raums bedeutet, dass er sich seines nahenden Todes bewusst
geworden wäre und sich rechtzeitig Zeit für die Überlegung genommen hätte, wie er sein
Leben in Ordnung hätte bringen und die bevorstehen Ernte in andere Hände hätte geben
können. Weil er aber zu sehr mit sich selbst beschäftigt gewesen war, hat er seine Zeit
verpasst.
Versteht man das Reichsein vor Gott in dieser Weise, dann ist es etwas, das man weder
herstellen noch zerstören kann. Es ist etwas, das jederzeit da ist, ähnlich wie die Luft, die wir
ein- und ausatmen, immer zwischen uns und unserer Welt da ist. Je mehr wir bloss habgierig
unseren Zielen hinterherjagen, desto leichter kann es geschehen, dass wir die Puste
verlieren, dass uns die Luft ausgeht und dass wir nichts vom Reichsein vor Gott realisieren. In
der letzten Konsequenz bedeutet dies für uns die Konfrontation mit dem unvorbereiteten Tod.
Wenn wir hingegen immer wieder die Zeit zum sorgsamen Atmen wahrnehmen und
kultivieren, wenn wir uns bei jedem Ein- und Ausatmen bewusst werden, dass uns die Luft
zum Atmen gegeben ist, wenn wir realisieren, dass Gott uns hier und jetzt, in diesem
Grenzraum zwischen sich und der Welt, seinen Raum gibt, dann bekommen wir wieder Luft,
und dann beginnen wir zu spüren, was es heisst, vor Gott reich zu sein.
Es ist immer so: Reich vor Gott ist man nicht, wenn man bestimmte Dinge hat oder habgierig
nach bestimmten Dingen zu greifen versucht. Reich vor Gott ist man, wenn man die Ruhe
entdeckt, den Raum spürt, den Moment ergreift, die Luft atmet, die uns Gott gibt, um
wahrzunehmen und anzunehmen, was ist, und um zu gestalten und zu verwirklichen, was
werden will. Man wird auf diese Weise in bezug auf die Welt weder reicher noch ärmer, wohl
aber lebendiger und kreativer, und damit fähiger, in jeder Situation, in der man steht, den
Weg zu finden, um mit sich und seiner Umwelt in Frieden zu gelangen. Beten wir deshalb,
dass wir das Reichsein vor Gott realisieren und unser Leben aus diesem Reichtum zu leben
lernen. Amen.
Predigt vom 18. März 2007 in Wabern
Bernhard Neuenschwander