Als die Leute sahen, was Paulus getan hatte, erhoben sie ein Geschrei und riefen auf Lykaonisch: Die Götter haben Menschengestalt angenommen und sind zu uns herabgestiegen! Und sie nannten Barnabas Zeus und Paulus Hermes, weil er das Wort führte. Der Priester am Zeustempel vor der Stadt brachte Stiere und Kränze zu den Stadttoren und wollte zusammen mit dem Volk ein Opfer darbringen. Als die Apostel Barnabas und Paulus davon hörten, zerrissen sie ihre Kleider, stürzten sich in die Menge und riefen: Männer, was tut ihr da? Wir sind Menschen wie ihr und verkündigen euch das Evangelium: Wendet euch ab von diesen nichtigen Göttern, dem lebendigen Gott zu, der den Himmel gemacht hat und die Erde und das Meer und alles, was darin ist. Er hat in den vergangenen Zeiten alle Völker ihre eigenen Wege gehen lassen, allerdings nicht ohne sich ihnen durch Wohltaten zu bezeugen: Er hat euch Regen gesandt vom Himmel herab und Zeiten der Ernte, er hat euch gesättigt mit Speise und euer Herz erfüllt mit Freude. Doch obwohl sie dies sagten, konnten sie das Volk nur mit Mühe davon abbringen, ihnen zu opfern. Apg 14,11-18
Heiligabend – was für ein Moment! Kerzenlicht erleuchtet den Raum, und seine Wärme gibt Schutz und Geborgenheit. Die alte Weihnachtsgeschichte erfüllt den Augenblick. Lebendig ist sie geworden, sie, die längst vergangen schien, ist auf einmal Gegenwart. Ein Engel erscheint und verkündet seine Botschaft: Habt keine Angst! Euch ist der Retter geboren. Und es stimmt ein in diese Botschaft ein ganzer Chor der Engel. Er lobt Gott, und er verheisst Frieden auf Erden. Was die Engel verkünden, zeigt sich im Bild der Krippe. Sie steht in einem Stall. Tiere sind da, der Geruch von Heu liegt in der Luft. In der Krippe liegt ein neugeborenes Kind, gewickelt in Windeln. Die Eltern sind in seiner Nähe, tief berührt vom Wunder der Geburt. In diesem Neugeborenen ist Gott gegenwärtig. In seinem ganzen Leben wird er gegenwärtig bleiben. Als erwachsener Mensch wird er die Nähe des Himmelreichs verkünden, und er wird Mut geben, darauf zu vertrauen, dass Gott jeden Augenblick gegenwärtig ist.
Das Bild von der Krippe strahlt die Gegenwart Gottes mit ihrer frohen Botschaft auch heute aus, und es nimmt bis heute alle hinein, die ihr Herz für sie öffnen. Was in diesem Bild geborgen ist, ist etwas, das in diesem Universum steckt. Materie existiert in der Zeit – seit es sie gibt, solange es sie gibt, in ständiger Veränderung. Das Geheimnis des Moments, in welchem die Materie existiert, aber ist Gott. Wer sein Herz für dieses Geheimnis öffnet, sieht seine Spur im ganzen Universum und in jedem Augenblick seines Lebens. Bin ich ganz in diesem Moment, ist der Himmel offen und jubeln die Engel. Bedingungslose Freiheit wird gegenwärtig, und jene Liebe und Weisheit, die der Moment birgt, wird spürbar. Ich begreife, dass ich zu einer grossen Gemeinschaft gehöre – der Gemeinschaft, welche die Gegenwart Gottes miteinander teilt, und ich verstehe, dass diese Gemeinschaft eine Spielgemeinschaft ist. Ich teile die Spielfreude der Gegenwart mit allen, die mitspielen, und lasse mich von ihrer Liebe und Weisheit leiten. Ich weiss, dass der Zufall zum Spiel gehört und dass ich manchmal gewinne und manchmal verliere, aber ich weiss auch, dass das Spiel jeden Moment weitergeht und dass ich in der Spielfreude bleiben kann. Deshalb tut mir das Mitspielen in diesem Spiel der Gegenwart Gottes gut, und es bringt mir nahe, was die Weihnachtsbotschaft verheisst. Im Bild der Krippe verdichtet sich dieses grosse Spiel in einem heiligen Moment. Es bringt mir jenes Geheimnis vor Augen, das sich jeden Augenblick in diesem Universum ereignet, mich mit Sinn erfüllt und glücklich macht.
Was dieses Bild anzeigt, will uns auch unser Predigttext nahebringen. Versuchen wir, seiner Botschaft auf die Spur zu kommen!
Erzählt wird von der ersten grossen Mission, die Paulus und Barnabas im Raum der heutigen Türkei durchführen. Die beiden befinden sich in der Kleinstadt Lystra (Apg 14,8-20). Paulus hat soeben auf einem öffentlichen Platz das Evangelium von der Gegenwart Gottes verkündet. Ein von Geburt auf gelähmter Mann hat darauf angesprochen, die Herzen von Paulus und dem Gelähmten haben sich verschränkt, und die Information Gottes, die in Paulus offenbar geworden ist, hat sich zugleich im Gelähmten gezeigt: Der Gelähmte ist aufgesprungen und hat gehen können. Unser Predigttext erzählt, was sich im Folgenden ereignet.
Zunächst kommt die Reaktion der Leute, die dieses Heilungswunder sehen, zum Ausdruck (V11-12). Sie erheben ein Geschrei und rufen auf Lykaonisch, ihrer Landessprache: Die Götter haben Menschengestalt angenommen und sind zu uns herabgestiegen. Sie reflektieren das Erlebte also auf dem Hintergrund ihrer griechisch polytheistischen Religion und interpretieren es als Manifestation der Götter. Barnabas nennen sie Zeus und Paulus, weil er wie der Götterbote das Wort führt, Hermes. Das Geschrei bringt den Priester des Zeustempels vor der Stadt auf den Plan (V13). Er bringt Stiere und Kränze zu den Stadttoren und will zusammen mit dem Volk ein Opfer darbringen. Offenbar hält er wie das Volk Barnabas und Paulus für Götter und will ihnen opfern.
Was nun folgt, ist die Reaktion von Barnabas und Paulus (V14-17). Weil sie der Landessprache nicht kundig sind, haben sie nicht sogleich verstanden, was geschieht. Sobald sie jedoch begreifen, zerreissen sie ihre Kleider und stürzen sich in die Menge. Sie wenden sich also mit aller Kraft gegen das göttliche Image, das die Leute auf sie projizieren, und präsentieren sich als Menschen unter Menschen. Ihr Tun untermauern sie mit Worten. «Was tut ihr da?», rufen sie und fordern die Leute auf, einzuhalten und sich Rechenschaft über ihr eigenes Verhalten zu geben. Darauf erklären sie sich und ihr Tun: Wir sind Menschen wie ihr und verkünden euch das Evangelium. Ihre Botschaft aber ist, dass sie sich von nichtigen Göttern ab- und dem lebendigen Gott zuwenden sollen, dem, der den Himmel gemacht hat und die Erde und das Meer und alles, was darin ist. Ihr Blick soll sich also auf den Schöpfergott richten, der als Geheimnis der Gegenwart jeden Moment in der Materie gegenwärtig ist. Dieser Gott hat, wie Paulus ausdrücklich festhält, in den vergangenen Zeiten nicht in die Geschichte eingegriffen und alle Völker ihre eigenen Wege gehen lassen. Doch seine Gegenwart hat sich in Wohltaten bezeugt. Er hat Regen gesandt vom Himmel herab und Zeiten der Ernte, er hat sie mit Speise gesättigt und ihr Herz mit Freude erfüllt. Jeden Moment ist Gott also mit seiner Liebe und Weisheit gegenwärtig gewesen, offensichtlich für alle, die sich auf das Geheimnis der Gegenwart eingelassen haben. Was Paulus später in seiner Rede in Athen auf dem Aeropag breiter ausführen wird (Apg 17,22-29), macht er bereits hier deutlich: Gott ist jeden Moment da und kann in der Materie auf natürliche und unspektakuläre Weise in jedem Hier und Jetzt erkannt werden. Ihr engagiertes Plädoyer ist mässig erfolgreich. Nur mit Mühe gelingt es ihnen, das Volk davon abzubringen, ihnen zu opfern.
Die Fortsetzung macht deutlich, wie zerstörerisch Projektionen eigener Vorstellungen auf andere Menschen sein können (V19-20). So sehr die einen Barnabas und Paulus kaum vom Image als Götter befreien können, so sehr suchen andere ihre Beseitigung. Paulus und Barnabas bleiben nichts anderes übrig, als die Stadt zu verlassen und weiterzuziehen.
Es ist Heiligabend. Wir haben das Bild der Krippe vor Augen, und wir stellen uns diese Episode der ersten grossen Mission von Paulus und Barnabas vor. Hier wie dort steht die Botschaft der Gegenwart Gottes im Zentrum. Doch unser Predigttext lenkt unser Verständnis dieser Botschaft in eine bestimmte Richtung.
Deutlich macht er zunächst, dass die Gegenwart Gottes in der Materie nicht dahingehend missverstanden werden darf, Menschen oder Dinge, die Welt oder gar das Universum zu vergöttlichen. Dies gilt selbstredend auch für das Bild der Krippe oder das Kind darin. Dieses Bild mag Gottes Gegenwart illustrieren, Jesus mag sie verkörpern, wahrnehmbar machen und anderen Menschen nahebringen. Doch Gott lässt sich so wenig packen, wie sich der Augenblick fassen lässt. Das Geheimnis der Gegenwart ist zwar ständig da, wird es aber mit der Materie, die es vergegenwärtigt, verwechselt, werden Götzen geschaffen, die nichts mit Gott zu tun haben. Dies gilt erst recht für alles, was sich Menschen erarbeiten und erschaffen. Wissenschaftliche Erkenntnisse können beeindrucken, Orientierung geben und diese Welt verändern. Doch das Geheimnis der Gegenwart können sie nicht erklären. Dasselbe gilt für Ideologien und Moral, für Image, Status, Wohlstand und die eigene Körperlichkeit – ja auch für alle konkreten Ausgestaltungen der Religionen. Gottes Gegenwart ist völlig evident, und doch dem menschlichen Denken und Konstruieren ganz und gar entzogen. Begreife ich dies, gibt es mir Freiheit und Offenheit im Umgang mit Menschen und Dingen, auch mit mir selbst. Es zeigt mir, dass nichts, was es gibt, absolut ist, dass ich mich an nichts, auch nicht an mich selbst, klammern muss und dass die Freiheit Gottes aus sich selbst, aus purer Gnade, jedem Moment innewohnt.
Umgekehrt macht unser Predigttext aber auch deutlich, dass Gott sehr wohl jeden Augenblick in dieser Welt, ja in der Materie dieses Universums, gegenwärtig ist. Diese Präsenz ist nicht ein Eingriff in den Lauf der Geschichte und auch nicht ein Lenken der Evolution. Gott lässt die Dinge – wie unser Predigttext sagt – ihre eigenen Wege gehen. Doch Gottes Gegenwart zeigt sich in Wohltaten. Paulus erinnert an Regen und Ernte, an Speisen und die Freude im Herzen. Doch wer in der Freiheit der Gegenwart Gottes ist, entdeckt die Spuren ihrer Liebe und Weisheit in jedem Augenblick und staunt über die Feinabstimmung, die nötig gewesen ist, dass auf diesem Planeten ein lebensfreundliches Umfeld entstanden ist, dass sich Leben, sogar komplexes, menschliches Leben, entwickelt hat, dass dieser Planet, dieses Universum, so viel Unfassbares, so viel Schönes hervorgehen lässt. Jeder Moment macht dieses Wunder spürbar, jeder Moment führt den Segen der Gegenwart Gottes vor Augen. Dies wahrzunehmen, lässt mich mit einem milden Lächeln auf meine vermeintliche Unentbehrlichkeit blicken, erfüllt mich aber auch mit Dankbarkeit und Freude, vom Geheimnis der Gegenwart Gottes erfüllt zu sein.
Schliesslich bringt uns unser Predigttext die Kraft der Freiheit nahe, die in der Gegenwart Gottes steckt. Ist Gott gegenwärtig, beruhigen sich die Gefühle und klären sich die Gedanken. Illusionen verschwinden, und an ihrer Stelle kehren Ruhe und Frieden ein. Gottes Gegenwart spricht für sich, ihre Unmittelbarkeit ist evident, der Moment ist völlig klar und fraglos. Deshalb lassen sich Paulus und Barnabas von den Bildern, welche die Leute auf sie projizieren, nicht durcheinanderbringen oder verunsichern. Ruhig und unaufgeregt bleiben sie im Geheimnis des Moments, stehen voll und ganz dafür ein und halten diesem auch stand, wenn es von den Menschen um sie herum unverstanden und missverstanden wird. Frei von narzisstischen Versuchungen, sich bewundern und von den Ereignissen wegfegen zu lassen, bleiben sie frei für die Liebe und Weisheit der Gegenwart Gottes. Liegt mir an der Gegenwart Gottes, werde ich mich genau daran orientieren, und ich werde in allem Wirbeln von Illusionen und Projektionen und allem Haschen nach Aufmerksamkeit nichts als die Kraft der bedingungslosen Freiheit des Moments suchen.
Es ist Heiligabend. Das Bild von der Krippe bringt uns Gottes Gegenwart nahe. Es bedarf keiner religiösen Aura über der Natur oder menschgemachten Dingen. In jedem Hier und Jetzt ist Gottes Freiheit mit ihrer Liebe und Weisheit gegenwärtig. Ihre Kraft gibt Stabilität und Friede, auch wenn sie missverstanden und mit Aufgeregtheit überschüttet wird. Dies gibt Vertrauen, dies können wir jetzt feiern. Beten wir also, dass wir von Gottes Gegenwart erfasst werden und dass es auf dieser Welt Weihnachten wird. Amen.
Predigt vom 24. Dezember 2024 in Wabern
Bernhard Neuenschwander