Ein anderes Gleichnis sagte er ihnen: Das Reich der Himmel ist gleich einem
Sauerteig, den eine Frau nahm und unter drei Scheffel Mehl mengte, bis es ganz
durchsäuert war.
Mat 13,33
Liebe Gemeinde
In Gleichnissen hat Jesus gesprochen, als Gleichnis hat Jesus gelebt, und auch das
Sterben und Auferstehen von Jesus ist ein Gleichnis. Gleichnis ist Jesus in seinem
ganzen Tun und Sein, und anders als gleichnishaft ist nicht eines geschehen, das mit
ihm geschehen ist. Ihm nachzufolgen heisst, ihm räumlich in sein grosses Gleichnis
hinein zu folgen, ihm zeitlich aus seinem Gleichnis hinaus zu folgen und die Welt als
sein Gleichnis wahrnehmen und gestalten zu lernen. Ich will deshalb mit der heutigen
Osterpredigt eine Reihe von Predigten beginnen, die sich den Gleichnissen Jesu
widmen.
Ostern ist ein wunderbarer Anlass, um in das Gleichnis, das Jesus zur Geltung
bringt, einzutauchen. Ostern ist der Schlüssel zu seinem Gleichnis; das Ereignis, das
uns die Welt als Gleichnis, und das Gleichnis als Welt entschlüsselt; der Beginn
eines Lebens, in welchem wir die Welt in Gott und Gott in der Welt wahrnehmen und
verwirklichen; mit einem Wort: Ostern ist der Einstieg in das Erzählen von
Gleichnissen.
Vieles steckt in diesem Einstieg. Viel mehr als wir zu sagen vermögen, viel mehr als
wir jemals zu sagen vermögen. Aber auch viel mehr als wir sagen müssten. Das
Gleichnis braucht nicht alles zu sagen. Es kann sich Lücken leisten, Spalten öffnen
und Zwischenräume schaffen. Und noch mehr: Es kann darin Unsagbares sagen,
ohne es zu sagen; es kann Geheimnisvolles zur Sprache bringen, ohne es zu
enthüllen; es kann reden, ohne zu reden. Was aber ist das anderes als Ostern ?
Gegenwart des Auferstandenen, ohne fassbar zu sein. Unsichtbar denen, die nicht
das Ganze im Sichtbaren sehen, unhörbar denen, die nicht die Melodie in den Worte
hören. Es braucht keine übernatürliche Phantasie, um Ostern zu erfassen; es braucht
keine religiösen Vorstellungen und spekulativen Ideen, um zu verstehen, was Ostern
bedeutet. Es genügt der Einstieg in das Erzählen von Gleichnissen: 1. das
Wahrnehmen, dass im Gleichnis mehr steckt, als das, was erzählt ist, dass im
Gleichnis aber auch alles steckt, was gesagt werden kann. Und 2. das Gestalten des
Erzählens, welches das Gesagte so reduziert, dass das Unsagbare nicht zerredet
wird, aber doch so viel sagt, dass das Ungesagte im Gesagten hörbar wird. Ostern
ist so einfach und so komplex wie das Erzählen von Gleichnissen: das Kunstwerk, so
wenig wie möglich und so viel wie nötig zu sagen und das Unsagbare im Gesagten
hörbar werden zu lassen.
Jesus hat dies in seinen Gleichnissen zu tun unternommen. Um nichts anderes als
um das Unsagbare im Sagen geht es ihm. Das Zentrum bleibt das Unsagbare, aber
das Sagen ist dessen Realisation.
In der Mitte steht das, was er mit dem Wort „Himmelreich“ bezeichnet bzw.
präziser: chiffriert; denn mehr als eine Chiffre ist dieses Wort nicht. Übernommen hat
er es aus seinem jüdischen Umfeld, in welchem es eine respektsvolle Variante des
Wortes „Gottesreich“ darstellt. Natürlich gibt es in der jüdischen Tradition eine
Vielzahl von Erzählungen über das verheissene Himmel- bzw. Gottesreich, und
natürlich hat Jesus diese auch gekannt. Dennoch ist bemerkenswert, dass Jesus mit
seinen Gleichnissen nicht versucht, diese jüdischen Erzählungen zu kommentieren
und in An- und Abgrenzung ihnen gegenüber sein eigenes Verständnis des
Himmelreichs zu erklären. Vielmehr fällt auf, dass er klar zwischen dem unsagbaren
Himmelreich und dem sagbaren Gleichnis unterscheidet. Er spricht vom Himmelreich
„nur“ in Gleichnissen. Das Himmelreich ist für ihn eben keine Idee, Vision oder
Verheissung, die sich durch Konzepte, Programme und Ideale definieren und
festnageln liesse. Gewiss gibt es auch für Jesus Werte, Regeln, Erwartungen, die
zum Himmelreich gehören. Aber das Himmelreich ist immer noch anders als diese,
noch unfassbarer, noch unverfügbarer. Eben unsagbarer. Das Wort „Himmelreich“ ist
deshalb nicht ein Zeichen, wie die vielen Zeichen, die wir in unserer Sprache
verwenden; denn diesem Wort entspricht anders als unseren normalen Zeichen kein
Bezeichnetes. Es ist vielmehr eine Chiffre für die Leerstelle, für den Zwischenraum,
für die geheimnisvolle Lücke der Unterscheidung zwischen A und Nicht-A, welche nie
gefüllt, nie bezeichnet, nie erfasst werden kann.
Allerdings hüllt sich Jesus ja auch nicht in ein grosses Schweigen, sondern er
spricht vom Himmelreich und er erzählt Gleichnisse. Die Versuchung kann uns in den
verschiedensten Varianten immer wieder einholen, vor dem zu verstummen, was
Jesus mit „Himmelreich“ chiffriert. Gewiss kann diese Versuchung darin liegen, in
vermeintliche Stille zu flüchten, von nichts mehr wissen zu wollen und in
Sprachlosigkeit zu versinken. Doch ist dies die bloss offensichtlichste Versuchung.
Viel subtiler sind all diejenigen, die mit Worten das Himmelreich ersticken. Sei es,
dass sie durch ihr Gerede „über“ das Himmelreich alles zu erklären versuchen, aber
nichts erkennen; sei es, dass sie von allem und jedem reden, aber nichts vom
Himmelreich. Wenn Jesus in Gleichnissen vom Himmelreich spricht, dann will er das
Himmelreich weder erklären, noch ungesagt sein lassen. Statt dessen will er uns in
einen kreativen Prozess hineinnehmen, in welchem das Himmelreich in der Welt, in
der wir leben, wahrgenommen und gestaltet wird; in welchem es Geschichten
schreibt; in welcher es die Welt erzählt.
Für uns, die wir dem Gleichnis Jesu in seinen Gleichnissen nachfolgen, steckt
darin die Kraft, uns von diesem seinem kreativen Prozess tragen und leiten zu
lassen. Nicht um das Himmelreich in seinen Gleichnissen zu erklären, nicht um es in
der Fülle unserer Worte ungesagt sein zu lassen, sondern um es mit unseren Worten
in Gleichnissen neu zu erzählen; denn die Gleichnisse Jesu fordern uns auf, selber
Gleichnisse zu kreieren und in den Prozess einzutreten, in dem das Unsagbare des
Himmelreichs im Sagbaren unserer Welt spürbar und lebbar wird. Erst so, erst in
unserer eigenen Kreativität als Nachfolger Jesu, erst in unserem Prozess als Mit-
Autoren vermögen wir den unaussprechlichen Zwischenraum des Himmelreichs zu
spüren, den Jesus auf seine und wir auf unserer Weise in Gleichnissen zu erzählen
haben.
Machen wir dies konkret ! Das Reich der Himmel ist gleich einem Sauerteig, den eine
Frau nahm und unter drei Scheffel Mehl mengte, bis es ganz durchsäuert war. Ein
winziges Stück Sauerteig gut vermengt ins ungesäuerte Mehl genügt, um alles Mehl
zu durchsäuern. Das ist die Erzählung. Zum Gleichnis wird diese Erzählung, weil das
Himmelreich, so die Behauptung, gleich ist wie der Sauerteig, von dem in der
Erzählung die Rede ist. Das Unsagbare, das mit dem Himmelreich chiffriert ist, ist
also so wie Sauerteig: gut vermengt ins Gesagte durchsäuert es alles Gesagte. Es ist
mit andern Worten nichts anderes als das Ostereignis, welches das vorhandene
Mehl durchsäuert, das vorhandene Material von innen heraus verändert und die
Worte, die nichts als Worte sind, mit Geist erfüllt. Was aber ist dies nun konkret ?
Was ist Ostern als Himmelreich als Sauerteig hier und jetzt ?
Lasst mich dazu nun ein Gleichnis erzählen ! Ein kleiner Mensch leidet an seinem
grossen Nachbarn. Er kommt sich vor wie die Mücke, die in der Hand des Menschen
unbarmherzig zerquetscht wird. In seiner Ohnmacht spürt er nichts als Abscheu und
Ekel gegenüber der Übermacht. Und wenn es einmal nicht der Nachbar ist, so ist es
immer noch die Wucht seiner schlechten Gefühle, die ihn plattdrücken wie die
Dampfwalze einen Grasshalm. Eines Tages aber wird es bei ihm Ostern: er entdeckt
die Geduld. Nicht die Geduld, die bloss resigniert erduldet, sondern die Geduld des
langen Atems. Die Geduld, die grösser ist als der grosse Nachbar, grösser als die
schlechten Gefühle, grösser als seine eigene Ohnmacht. Die Geduld gibt ihm Zeit.
Zeit, dass alles da sein kann: der Nachbar, der Ekel, die Ohnmacht, die Dampfwalze.
Und auch er selber. Aber nicht als irgendwer, sondern nach der Grösse seiner
Geduld. Die Geduld gibt ihm Zeit, das grössere Format der Geduld zu werden. Das
Format, das grösser als der Nachbar, der Ekel, die Ohnmacht, die Dampfwalze ist.
Das Format, das er sein kann, wenn er all dies durchsäuert. Das Format, das ihn im
ganzen Leben, das er lebt, präsent macht und ihm den richtigen Weg im Umgang mit
seinem grossen Nachbarn weist. Keine Frage: der kleine Mensch, der sein Leben
von dieser Geduld durchsäuert hat, wird den grossen Nachbarn bei weitem
überragen.
Echte Geduld ist unsagbar wie das Himmelreich, unsagbar wie Ostern. Echte Geduld
ist die Weite des Herzens, die in ihrer Präsenz das Böse der Welt samt unserer
Ohnmacht und unserem Ekel durchsäuert, von innen heraus verändert und uns die
Welt in neuen Gleichnissen erzählen und in neuen Geschichten leben lässt. Beten
wir deshalb, dass Gott uns diese Geduld schenke, auf dass es bei uns und auf
unserer Erde Ostern werde. Amen.
Predigt vom 16. April 2006 in Wabern
Bernhard Neuenschwander