Growing community

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Es geschah aber, dass sie in Ikonium ebenfalls in die Synagoge der Juden gingen und das Wort so überzeugend verkündigten, dass eine grosse Zahl von Juden und Griechen zum Glauben kam. Diejenigen Juden aber, die sich dem Wort verschlossen, begannen die Heiden aufzuwiegeln und gegen die Brüder und Schwestern aufzuhetzen. Sie aber verbrachten dort längere Zeit und verkündigten das Wort in aller Freiheit, im Vertrauen auf den Herrn, der das Wort seiner Gnade bekräftigte, indem er Zeichen und Wunder geschehen liess durch ihre Hand. Die Bevölkerung der Stadt aber spaltete sich; die einen hielten zu den Juden, die anderen zu den Aposteln. Als ihnen aber von Seiten der Juden und Heiden ein Übergriff drohte, der von den Behörden gebilligt wurde, und man sie misshandeln und mit Steinen bewerfen wollte, erfuhren sie davon und flohen in die Städte von Lykaonien, nach Lystra und Derbe, und in deren Umgebung. Und dort verkündigten sie das Evangelium. Apg 14,1-7

Die aktuelle Adventszeit zeigt es: Gottes Gegenwart schafft immer wieder neu Gemeinschaft. Die so geschaffene Verbundenheit mag auf den ersten Blick der Tradition geschuldet sein. Seit Jahrhunderten bringt der Advent zuverlässig mit seinen vielen Lichtern Helligkeit in die dunkle Jahreszeit und stiftet Jahr für Jahr Zuversicht, dass nach dem kalten Winter ein neuer Frühling kommt. Die Geschichte vom Weihnachtskind in der Krippe lässt die frohe Erwartung aufleben. Sie verbindet alle, die sich durch sie berühren lassen, Hoffnung schöpfen und sich auf das Kommende freuen. Doch eine Gemeinschaft, welche Gottes Gegenwart miteinander teilt, geht weit darüber hinaus. Denn sie atmet die Freiheit des Augenblicks, ist erfüllt von deren Liebe und Weisheit und freut sich, hier und jetzt im Spiel der Evolution mitzuspielen – wie auch immer die Umstände gerade sind. Eine solche Gemeinschaft ist weit und gibt doch Verbundenheit, ist erlöst und stellt sich doch der Realität wie sie in diesem Moment ist. Deshalb tut eine solche Gemeinschaft gut.

Eine solche Gemeinschaft ist in dieser postchristlichen Zeit oft mehr Sehnsucht als Realität. Die westlichen Gesellschaften sind gespalten und verunsichert. Das Erstarken autokratischer Systeme, denen Recht und Demokratie nichts bedeutet, konfrontiert sie mit dem Gesetz des Stärkeren und zwingt sie, sich Realitäten zu stellen, die sie in ihrem moralischen Gefühl der Überlegenheit für überwunden glaubten. Da ist emotionale Resilienz gefordert. Doch wie soll diese trainiert werden, wo der Rückzug in Komfortzonen und digitale Blasen so naheliegen? Ohne Restgeborgenheit ist die Welt da draussen noch unerträglicher. Was bleibt, ist das Fluchtbedürfnis und das Gefühl der Überforderung. Wirklichkeitsverweigerung ist jedoch keine Lösung. Hilfreich könnte stattdessen ein Ansatz von Gemeinschaft sein, der Geborgenheit mit Realitätsbezug verbindet, der tatsächlich Verbundenheit schafft, aber keine moralischen oder gar ideologischen Auflagen macht, der frei und unbefangen für den Moment ist, sich aber den Realitäten stellt, wie sie hier und jetzt sind. Vor einem solchen Hintergrund könnte eine Gemeinschaft, welche die Gegenwart Gottes teilt, in postchristlicher Zeit durchaus bedenkenswert sein.

Unser Predigttext wirbt für eine solche Gemeinschaft, übergeht aber auch die Schwierigkeiten nicht, mit der sie konfrontiert wird. Versuchen wir zu verstehen, was er uns zu sagen hat!

Präsentiert wird eine weitere Episode der ersten grossen Mission, die Paulus mit Barnabas unternimmt. Sie erzählt von ihrem Aufenthalt in Ikonium und macht deutlich, dass er sehr ähnlich stattfindet, wie der vorangehende im pisidischen Antiochia. Was hier beschrieben wird, soll offenbar ein Muster sichtbar machen, mit der sich die frühchristliche Verkündigung der Gemeinschaft der Gegenwart Gottes immer wieder konfrontiert sieht. Dieses Muster zeigt, dass eine Gemeinschaft im Geheimnis der Gegenwart zwar jeden Moment neu geschaffen, aber aufgrund partikulärer Interessen ebenso zuverlässig bekämpft wird.

Mit klarem Bezug zur Episode in Antiochia setzt unser Predigttext ein und stellt fest, dass Paulus und Barnabas auch in Ikonium in die Synagoge der Juden gehen und das Wort so überzeugend verkünden, dass eine grosse Zahl von Juden und Griechen zum Glauben kommen (V1). Ikonium, das heutige Konya in der mittleren Türkei, gehört damals zu Lykaonien (V6), das wiederum Teil der römischen Provinz Galatien ist. Die Stadt liegt an der im Auftrag von Kaiser Augustus erbauten Via Sebaste, ist ein Verkehrsknotenpunkt und ein wohlhabendes Handelszentrum. Die Stadt verfügt über eine Synagoge. Paulus und Barnabas suchen sie auf, verfolgen ihre Mission und sind so erfolgreich wie zuvor in Antiochia; doch ebenso wie dort gibt es Widerstand (V2). Diejenigen Juden, die ungehorsam (ἀπειθής) bleiben, also nicht Gottes Gegenwart teilen, wiegeln die Heiden auf und hetzen gegen die Brüder und Schwestern auf, die bereits zu glauben begonnen haben. Ein Konflikt entbrennt auch hier.

Der Text ist im Folgenden zweigeteilt. Zunächst widmet er sich dem Erfolg zu (V3). Paulus und Barnabas verbringen eine geraume Zeit in Ikonium und verkünden hier ebenso frei wie in Antiochia (Apg 13,46) das Wort. Sie tun dies im Vertrauen auf Gott. Denn Gott lässt durch ihre Hand Zeichen und Wunder geschehen, die das Wort der Gnade bekräftigen. Im Zentrum bleibt die bedingungslose Gegenwart Gottes. Die Gnade bringt Paulus und Barnabas zum Spielen und sorgt für Überraschungen, die in den Zufällen des Lebens jene Freiheit aufleuchten lassen, die der Gegenwart Gottes eigen ist.

Ihr Wirken hat jedoch eine Kehrseite (VV4-6). Die Bevölkerung der Stadt spaltet sich; die einen halten zu den Juden, die andern zu den Aposteln. Dass die beiden hier als Apostel bezeichnet werden, widerspricht lukanischem Sprachgebrauch. Vermutlich steht dieser Titel in der von Lukas benutzten Vorlage. Die Episode wird in den interessierten Kreisen für typisch und beachtenswert gehalten und deshalb schon früh schriftlich festgehalten worden sein. Dies dürfte allerdings gerade auch für die Fortsetzung gelten. Paulus und Barnabas halten zwar einige Zeit dem Konflikt stand. Als aber durch eine Gruppe von Juden und Heiden mit Billigung der Behörde ein Anschlag – ὁρμή kann eine spontane oder geplante Gewaltaktion meinen – auf sie droht, um sie zu misshandeln und zu steinigen, erfahren sie davon und fliehen in die Städte von Lykaonien, nach Lystra und Derbe, und in deren Umgebung. Was hier geschieht, gehört für frühchristliche Erfahrung offenbar zu einem Muster: dass die Verkündigung der bedingungslosen Gemeinschaft der Gegenwart Gottes zwar erfolgreich ist, aber mit Widerstand, allenfalls sogar gewaltsamen, zu rechnen hat. Unser Predigttext lässt sich davon indes nicht beirren (V7). Er schliesst den Bericht über diese Episode mit dem Hinweis, dass Paulus und Barnabas nun in der Gegend, in die sie geflohen sind, das Evangelium verkünden.

Denken wir am heutigen Adventssonntag über diesen Predigttext nach, macht er uns jene unbeirrbare Stärke bewusst, die einer Gemeinschaft der geteilten Gegenwart Gottes eigen ist. Diese Stärke spielt mit dem Gesetz des Stärkeren und macht die Evolution dieses Universums zu einem Spiel. Versuchen wir, dieser Stärke zum Spielen auf die Spur zu kommen!

Zunächst fällt die Unmittelbarkeit dieser Stärke auf. Eine Gemeinschaft der geteilten Gegenwart Gottes entwickelt im Hier und Jetzt eine Art Schwarmintelligenz. Ihr ist augenblicklich klar, was zu tun ist – ohne Sprache, ohne Worte, mit unhörbarer Stimme (Ps 19,4). Paulus und Barnabas machen es vor. Wie zuvor in Antiochia gehen sie auch in Ikonium in die Synagoge und teilen mit einer grossen Anzahl Juden und Griechen die Gegenwart Gottes. Die Unterschiede der Herkunft sind sogleich irrelevant. An äusseren Merkmalen ist die so entstandene Gemeinschaft nicht zu erkennen. Was zählt, ist das in Freiheit verkündete Wort der Gnade. Paulus und Barnabas stehen für dieses Wort ein und zeigen, dass die Freiheit Gottes hier und jetzt schon gegenwärtig ist – völlig bedingungslos, eben aus Gnade. Mag sich auch Widerstand formieren, die Unmittelbarkeit der Gegenwart Gottes wirkt, schafft Vertrauen und Verbundenheit und organisiert diejenigen, die davon erfasst sind, zu einer Gemeinschaft. Wie ein Vogelschwarm die ihm eigne Intelligenz teilt, teilt diese Gemeinschaft die Information von Gottes Liebe und Weisheit, setzt sie individuell, vielfältig und selbstverantwortlich um, aber weiss sich doch von der Gegenwart Gottes in ihrer Mitte geleitet. Genau dies ist das Geheimnis ihrer Stärke.

Diese Stärke passt sich jedem Hier und Jetzt an und erinnert dabei an die im Taoismus geläufige Strategie des fliessenden Wassers.[1] Sogleich gleicht sie sich den Umständen an und schafft die Gemeinschaft des geteilten Moments; stellt sich ihr Widerstand in den Weg, setzt sie nicht auf Kampf, sondern geht rasch weiter und sucht ihre nächste Chance. Paulus und Barnabas haben ihre Mission schon bisher dieser Strategie gemäss verfolgt, und sie tun es auch hier. Geraume Zeit bleiben sie in Ikonium und tun, was ihnen möglich ist, um die Gemeinschaft der geteilten Gegenwart Gottes wachsen zu lassen. Sobald sie feststellen, dass der Widerstand bedrohlich wird, versuchen sie nicht, diesen zu brechen, sondern entziehen sich dem Kampf und fliehen. Ihre Stärke verdankt sich der unmittelbaren Gegenwart Gottes. Diese ist jeder Messbarkeit entzogen. Wirkt das Gesetz des Stärkeren, mag ich zuweilen gewinnen und zuweilen verlieren. Doch die Stärke der Gegenwart Gottes zeigt sich nicht in meiner Durchsetzungsfähigkeit, sondern in meiner Fähigkeit, mich veränderten Umständen anzupassen und die richtigen Konsequenzen zu ziehen. Ich kenne das Gesetz des Stärkeren, aber meine Orientierung finde ich in der Gegenwart Gottes, ich passe mich der Macht des Stärkeren an, aber lasse mich von ihr nicht dominieren. Diese Anpassungsfähigkeit zeichnet das Spiel der Weisheit aus und hat sich im Überlebenskampf der Evolution bewährt. Halt ich mich an die Verantwortung vor der Gegenwart Gottes, bleibe ich aufrichtig in der Anpassung an die Umstände und frei im weisheitlichen Spiel der Evolution. Ich bin wie fliessendes Wasser, das mit dem Gesetz des Stärkeren spielt.

Schliesslich zeigt sich die Stärke der Gegenwart Gottes in ihrer Integrationsfähigkeit. Diese Stärke bedarf keiner Machtkumulation und keines Kampfes um Einfluss. Ihre Macht liegt im Teilen der bedingungslosen Freiheit. Mühelos, aus purer Gnade, schlummert diese Freiheit in allem, was ist, wartet darauf zu erwachen und jene Gemeinschaft zu bilden, die sie schon begründet hat. Deshalb lassen sich Paulus und Barnabas vom Widerstand, der ihnen entgegentritt, nicht beirren, deshalb ziehen sie einfach weiter und verkünden ohne Zögern an anderen Orten das Evangelium. Die Liebe und Weisheit der Gegenwart Gottes hält nicht an sich. Sie kann und will überall und jederzeit erwachen und als Gemeinschaft geteilt werden. Diese Gemeinschaft mag kleiner oder grösser, kurzlebig oder nachhaltig sein – im Grunde ist sie nichts als die Spielgemeinschaft des Universums. Sie hat die Freiheit, mit dem Zufall zu spielen, Experimente zu riskieren, Scheitern in Kauf zu nehmen und nochmals neu zu beginnen. Halte ich mich an ihre Stärke, können Himmel und Erde vergehen und ein neuer Himmel und eine neue Erde entstehen, doch Gottes Freiheit hört nicht auf, jeden Moment in der Materie gegenwärtig zu sein. Dies motiviert mich, die Gegenwart Gottes mit allen und allem zu teilen, auf ihre Integrationsfähigkeit zu vertrauen und mit Freude in ihrem Spiel zu bleiben.

Der gegenwärtige Advent erinnert an diese grosse Spielgemeinschaft. Alle können mitspielen, alle können sich auf die Gegenwart Gottes im Kind in jener Krippe freuen. So verbunden zeigen wir, dass das Spiel trotz allen Irrungen und Wirrungen, die auf dieser Welt stattfinden, weitergeht und dass wir keinen Grund haben, die Freude am Spielen zu verlieren. Beten wir also, dass wir die Stärke von Gottes Gegenwart erfahren und in ihr Zuversicht schöpfen. Amen.

[1] Lao Tse (1959), Tao Tê King, Übersetzung von Victor von Strauss, Zürich, Manesse Verlag: Spruch 78: «Nichts in der Welt ist weicher und schwächer als Wasser, und doch nichts, was Hartes und Starkes angreift, vermag es zu übertreffen.»

Predigt vom 8. Dezember 2024 in Wabern
Bernhard Neuenschwander

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