Grace in brokenness

Grace in brokenness

Da kam Petrus zu sich und sagte: Jetzt weiss ich wirklich, dass der Herr seinen Engel gesandt und mich errettet hat aus der Hand des Herodes; er hat mich bewahrt vor allem, was das Volk der Juden sich versprach. Als ihm das klar geworden war, ging er zum Haus der Maria, der Mutter des Johannes, der den Beinamen Markus trug, wo viele versammelt waren und beteten. Als er nun an die Eingangstür klopfte, kam eine Magd namens Rhode, um nachzusehen, und als sie die Stimme des Petrus erkannte, öffnete sie vor lauter Freude das Tor nicht, sondern lief ins Haus zurück und meldete, Petrus stehe an der Pforte. Sie aber sagten zu ihr: Du bist nicht bei Verstand. Sie aber behauptete steif und fest, es sei so. Da sagten sie: Es ist sein Engel. Petrus aber klopfte noch immer. Da öffneten sie ihm und sahen ihn und waren fassungslos. Mit einer Handbewegung hiess er sie schweigen, erzählte ihnen, wie ihn der Herr aus dem Gefängnis herausgeführt hatte, und sagte: Berichtet es dem Jakobus und den Brüdern. Und er ging hinaus und begab sich an einen anderen Ort. Apg 12,11-17 

Die Gegenwart Gottes in diesem Universum, in jedem Moment, ist die Gegenwart seiner Information der Liebe und Weisheit. Seine wohlwollende Gnade schafft das Spiel der Wahrscheinlichkeiten mit seinem Werden und Vergehen, bringt dieses Universum ins Dasein – und auf dem Planeten Erde, irgendwo in den unendlichen Weiten dieses Universums, das eigenartige Phänomen des Lebens. Und damit nicht genug: Diese Gnade ruft Lebewesen ins Dasein, die sich mit all dem vertraut machen, die ihre Information, ihre Liebe und Weisheit, erkennen und die darum ringen, sich ihr anzunähern, sie zu verstehen, sie zu leben. Sich dies hier und heute bewusst zu machen, lässt staunen, und es gibt zu denken. Wie um Gottes willen kann eine solch einzigartige Situation bloss verstanden werden?

Sich dies vor Augen zu bringen, konfrontiert mit der Gebrochenheit von allem, was in dieser Welt und diesem Universum geschieht. Ich kann mir viel Wissen aneignen, und ich kann dank den heutigen Möglichkeiten digitaler Informationsverarbeitung umfangreiche Kenntnisse über dieses und jenes erwerben. Noch viel grösser aber wird dabei die Einsicht in die Gebrochenheit meines Wissens. Ich mag die Wahrscheinlichkeitsfelder, die die Wirklichkeit bestimmen, immer besser erkennen, doch Sicherheiten, was hier und jetzt geschieht oder nicht geschieht, finde ich keine. Weiss ich, was wahrscheinlich ist, komme ich dem Geheimnis, das in diesem Universum waltet, keinen Schritt näher. Die Information der Gnade, ihre Liebe und Weisheit, ist kein Gegenstand des Wissens, den ich mir erarbeiten und über den ich verfügen kann. Sie zeigt sich nur, wenn ich mit der Gebrochenheit zwischen mir und mir vertraut werde, wenn ich mich lasse, wenn ich frei von meiner Bedingtheit bin. Gottes Gnade ist in der Demut meiner Gebrochenheit bedingungslos gegenwärtig. Und genau darin zeigt er mir seine Liebe, seine Weisheit und macht mich frei. Das Geheimnis der Gegenwart ist nichts, das ich mit meinem Ich machen oder wollen, wissen oder haben kann, aber ganz automatisch geschieht, wenn ich ihm nicht mit mir selbst im Weg stehe.

Diese Freiheit von sich selbst, diese Demut der Gebrochenheit, diese Präsenz Gottes, diese Information des Hier und Jetzt ist das Zeichen eines mystischen Glaubens. Fassen lässt sich ein solcher Glaube nicht. Doch unser Predigttext erzählt von ihm und illustriert ihn mit einer Geschichte.

Hintergrund bildet eine weitere Verfolgung der frühchristlichen Gemeinde im Jerusalem der 40er Jahren des ersten Jahrhunderts nach Christus (Apg 12,1-4). Herodes Agrippa I, eingesetzt vom römischen Kaiser Claudius als König über Palästina, versucht der jüdischen Bevölkerung zu gefallen. Er lässt Jakobus, den Bruder der Johannes, durch das Schwert hinrichten. Darauf veranlasst er, dass Petrus ins Gefängnis geworfen wird, um ihn ebenfalls dem Volk vorzuführen. Petrus wird streng bewacht. Dennoch ereignet sich im Gefängnis Erstaunliches (Apg 12,5-17). Im Gefängnis ist Petrus mit der Demut seiner Gebrochenheit konfrontiert. Doch darin zeigt sich ihm auf einmal die Liebe und Weisheit der Gnade Gottes. Denn Petrus erscheint im Verlies ein Engel und fordert ihn zum Aufstehen auf. Sogleich fallen die Ketten ab. Petrus ist in der Lage, an den Wachen vorbei dem Engel zu folgen, ohne dass diese etwas merken. Sogar das grosse Eisentor, das zur Stadt hinausführt, öffnet sich von selbst, sodass er mit dem Engel unbehelligt das Gefängnis verlassen kann. Petrus versteht nicht, was mit ihm geschieht. In Demut frei von sich selbst geworden ist die Information der Gnade zwar wirksam, aber dennoch unfassbar. Vorerst meint Petrus, eine Vision, eine Art Traum, zu haben. Der Engel begleitet ihn noch um die nächste Ecke, um dann aber so plötzlich wie er erschienen ist auch wieder zu verschwinden.

An dieser Stelle setzt unser Predigttext ein. Mit dem Weggehen des Engels kommt Petrus zu sich und wird sich bewusst, was geschehen ist (V11). Jetzt, also im Nachhinein, realisiert er, dass er soeben einen Moment der Gnade erlebt hat. Er interpretiert dies so, dass Gott seinen Engel geschickt hat, um ihn aus der Hand des Herodes Agrippa zu erretten. Ihm wird klar, dass ihn Gott mit seiner Information vor allem bewahrt, was das Volk der Juden zurzeit gegen ihn anzettelt. Wie ihm dies bewusst wird, begibt er sich umgehend an den Ort, wo sich die christliche Gemeinde von Jerusalem üblicherweise versammelt (V12). Es handelt sich um das Haus der Maria. Maria ist offenbar eine bekannte Persönlichkeit und wird nicht weiter eingeführt. Sie ist die Mutter des Johannes, der den Beinamen Markus trägt. Als Petrus bei dem Haus auftaucht, ist die Gemeinde tatsächlich versammelt und betet.

Erzählt wird nun, was geschieht, als Petrus an der Eingangstür klopft (VV13-15). Eine Magd namens Rhode, die auch nicht weiter eingeführt wird, kommt, um nachzusehen, wer klopft. Sie erkennt Petrus an der Stimme, doch öffnet sie vor lauter Freude das Tor nicht, sondern läuft ins Haus zurück und meldet, Petrus stehe an der Pforte. Die Anwesenden können die Nachricht nicht glauben und werfen ihr vor, sie sei nicht bei Verstand. Doch sie behauptet steif und fest, es sei so. Also wird es wohl ein Engel sein, dessen Stimme wie die von Petrus klingt. Da aber Petrus draussen vor der Tür immer noch klopft, kommt die Geschichte zu ihrem Höhepunkt (V16). Sie öffnen ihm die Tür, sehen ihn und sind fassungslos. Er, der doch vor Kurzem ins Gefängnis geworfen und streng bewacht wurde, steht vor ihnen. Ihre Überraschung macht deutlich, dass sie an seiner Befreiung nicht den geringsten Anteil haben. Doch Petrus hat die Information begriffen, die er erhalten hat: dass sie aus reiner Gnade geschehen ist und mitten in seiner Gebrochenheit gewirkt hat (V17). Mit einer Handbewegung heisst er die anwesenden Menschen schweigen und erzählt ihnen, wie ihn Gott aus dem Gefängnis herausgeführt hat. Er fordert sie zudem auf, auch Jakobus – gemeint ist vermutlich der Bruder von Jesus und spätere Leiter der Jerusalemer Gemeinde (Mk 6,3; Mt 13,55; Apg 15,13; 21,18; 1Kor 15,7; Gal 1,19; 2,9.12; Jak 1,1) – sowie die anderen Brüder zu informieren. Damit geht er hinaus und verlässt Jerusalem. Die Information der Gnade, die er in der Demut seiner Gebrochenheit erfahren hat, macht ihn trotz seiner Befreiung nicht leichtsinnig, sondern gibt ihm innere Klarheit, seine Situation richtig einzuschätzen und die nötigen Konsequenzen zu ziehen.

Die letzte Petruserzählung der Apostelgeschichte kommt so zu ihrem Ende. Die Fortsetzung schwenkt den Blick von Petrus zum Hof des Königs Herodes Agrippa (VV18-20). Die Soldaten bemerken das Verschwinden des Petrus und geraten in Aufregung. Herodes lässt nach ihm suchen; da er ihn aber nicht findet, verhört er die Wachen und lässt sie abführen. Er selbst zieht sich darauf von Jerusalem zurück nach Cäsarea, seiner Hauptresidenz.

Besinnen wir uns heute auf diese Geschichte, motiviert sie uns dazu, uns mit der Information der Gnade Gottes vertraut zu machen, die mitten in der Gebrochenheit der Wirklichkeit gegenwärtig ist. In der Gegenwart Gottes zeigt sich offenbar eine völlig bedingungslose Energie von Liebe und Weisheit, die äussert wirksam ist und auf die zu hören sich bewährt.

Diese Information der Gegenwart Gottes ist eine unmittelbare Segenserfahrung. Sie bleibt in Belastung treu und gibt in Bedrohung Schutz und Besonnenheit. In unserer Geschichte wird sie als Bewahrung in Not interpretiert. Die Einsicht, bewahrt zu sein, ist ein existentielles Ereignis, das schwer zu fassen ist, aber tiefe Dankbarkeit schafft. Als Petrus aus dem schwer bewachten Gefängnis befreit wird, versteht er nicht, wie ihm geschieht. Er meint, eine Vision zu haben. Doch im Augenblick, in welchem die Aktion vorbei ist und er realisiert, was seine Wirklichkeit ist, geschieht ein luzider Moment. Er erkennt die Information der Gegenwart Gottes, interpretiert sie als Engel und begreift, dass er durch diese Information befreit und vor drohender Not bewahrt worden ist. Der Fokus ist ganz auf diese Information gerichtet. Für ihn ist sie hell wie ein Blitz, der den dunklen Nachthimmel erhellt, völlig evident ist und für einen kurzen Moment Klarheit schafft. Weitere Fragen stellen sich in diesem Augenblick nicht. Wie er bewahrt wurde, warum und wozu, weshalb gerade er, ist völlig unwichtig. Im Zentrum steht einzig und allein die Einsicht, dass ihm ein Moment der Gnade widerfahren ist und dass ihn die Information dieser Gnade vor Unheil bewahrt hat. Ist Gott mit seiner Information gegenwärtig, ist unmittelbar evident, dass Segen auf dem Moment liegt, wie auch immer die Umstände sein mögen, in welchem dies geschieht.

Allerdings beseitigt die Information der Gegenwart Gottes nicht die Gebrochenheit der Wirklichkeit samt allem Leiden und Sterben, das dazu gehört. Vielmehr schafft und bestätigt sie diese geradezu. Jeder Moment zeigt es. Ständig wird er durch einen neuen Moment ersetzt, ständig trägt er seine Vergänglichkeit in sich. Er ist und ist zugleich nicht, ohne dass sich das eine vom andern trennen lässt. Gott, das Geheimnis der Gegenwart, geschieht in der Gebrochenheit dieser Wirklichkeit. Petrus hat dies unmittelbar begriffen. Er versteht, dass er aus dem Gefängnis befreit und von drohender Gefahr bewahrt ist, aber dass dies auf brüchigem Boden steht und ebenso unvermittelt, wie es geschehen ist, kippen kann. In der Zeitlichkeit des Zeitlichen sind Sein und Nichtsein, Werden und Vergehen, unfassbar nahe beieinander. Doch so schmal der Spalt dazwischen auch ist, das Geheimnis der Gegenwart Gottes bleibt in der Gebrochenheit dieser Wirklichkeit mit seiner Information jeden Moment gegenwärtig. Dies zu realisieren, bewahrt Petrus nach seiner wunderhaften Befreiung vor Leichtsinn und falscher Selbstsicherheit. Die Gnade der Demut trägt ihn stattdessen mitten in aller Gebrochenheit. Offenbart sich Gott mit seiner Information, platzen Illusionen und Ideologien der Wirklichkeit wie Seifenblasen, und auf einmal zeigt sich nackt und unmittelbar, was ist und nicht ist.

Dies zu realisieren, führt unvermittelt zum Handeln. Ist die Gnade Gottes gegenwärtig, entstehen persönliche Freiheit und Unabhängigkeit. Angst und Sorge verlieren ihre Dominanz, die Wahrnehmung ist geläutert und der Verstand hellwach. In einem solchem Moment der Gnade übernimmt die Selbstverantwortung automatisch, ganz von selbst, den Lead. Vor der Information des Hier und Jetzt realisiert sie, wie sich diese Information im Handeln kristallisieren will. Als der Engel verschwindet und Petrus zu begreifen beginnt, ist für ihn sogleich klar, was Sache ist und was er zu tun hat. Nämlich, (1.) dass ihn Gott zwar vor drohendem Unheil bewahrt hat, aber dass er dennoch in Lebensgefahr ist, und (2.) dass er nun die Menschen, die ihm nahestehen, informieren und die Stadt umgehend verlassen muss. Die Information des Hier und Jetzt gibt ihm Orientierung, doch die konkrete Umsetzung ist seine Selbstverantwortung. Indem er sich genauso verhält, kristallisiert sich genau in diesem Moment seines Lebens Gottes Liebe und Weisheit. Ein Schema, das sich mechanisch wiederholen lässt, kann daraus nicht abgeleitet werden. Aber es wird doch deutlich, worum es geht: dass ich der Gnade, die in der Gebrochenheit der Wirklichkeit steckt, nicht im Weg stehe, dass ich mich von ihr befreien lasse und selbstverantwortlich ihre Information des Hier und Jetzt lebe.

Das Geheimnis der Gegenwart Gottes ist eine Information von Liebe und Weisheit. Diese Information ist in der Gebrochenheit von mir, dieser Welt, diesem Universum, ständig gegenwärtig und will im selbstverantwortlichen Handeln von uns Menschen zum Ausdruck kommen. Wir haben jeden Moment die Chance, uns in ihren Dienst zu stellen und ihre Liebe und Weisheit auf diese Welt zu bringen. Beten wir also, dass wir lernen, uns zu lassen und die Gegenwart Gottes zu leben. Amen.

Predigt vom 02. Juni 2024 in Wabern
Bernhard Neuenschwander

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