Game of life

Game of life

Paulus und seine Gefährten fuhren von Paphos ab und kamen nach Perge in Pamphylien. Dort trennte sich Johannes von ihnen und kehrte nach Jerusalem zurück. Sie aber zogen von Perge weiter und gelangten nach Antiochia in Pisidien. Am Sabbat gingen sie in die Synagoge und setzten sich. Nach der Lesung aus dem Gesetz und den Propheten schickten die Vorsteher der Synagoge zu ihnen und liessen ihnen sagen: Brüder, wenn ihr für das Volk ein Wort des Zuspruchs habt, so redet! Apg 13,13-15

Der heutige Bettag ist eine Gelegenheit zur Besinnung. Sein Aufruf gilt dem Danken, Beten und Busse tun. Er erinnert damit an elementare Handlungen spiritueller Praxis. Am Anfang steht das Danken. Gott ist jeden Moment mit seiner Liebe und Weisheit gegenwärtig. Diese Präsenz ist die Ressource des Daseins. Sich darauf einzulassen, schafft Dankbarkeit. Das Beten macht damit vertraut. Es lehrt, aus dieser Ressource zu schöpfen und ihre Liebe und Weisheit zu leben. Busse tun ist schliesslich der Moment der Umkehr. Wer Busse tut, gesteht sich ein, wo er sich verrannt hat, wendet sich um und besinnt sich erneut auf die Gegenwart Gottes. Auch in der Verstrickung gibt es Erlösung. Wird Gottes Gegenwart darin gesucht, lässt sie sich finden. Sie ist die Mitte jedes Augenblicks.

Lasse ich mich so auf den Bettag ein, steige in ein grosses Würfelspiel ein. Es ist die Weisheit Gottes, die es spielt, seit es dieses Universum gibt und bis in alle Zeit. Die Sprüche des Alten Testaments sprechen davon (vgl. Spr 8,22-31). Jeder Moment ist ein Moment dieses Spiels. Das Spiel folgt seinen Spielregen, aber spielt ständig mit dem Zufall. Gott greift in dieses Spiel nicht ein. Gott ist nichtdual, jenseits von Gut und Böse, frei von Wertungen. Seine Gegenwart schafft bedingungslose Offenheit für den Spielverlauf. Glück und Pech sind volatil und wechseln immer wieder. Stabil bliebt einzig und allein die Gegenwart Gottes, wie sie mit ihrer Liebe und Weisheit im Moment gegenwärtig ist. Dieses grosse Spiel geschieht jeden Moment, und es durchdringt das ganze Universum. Ich kann seine Regeln missachten. Doch selbst als Spielverderber bin ich in das Spiel verstrickt und erlebe die Folgen meiner Spielverweigerung. Halte ich mich hingegen an die Gegenwart Gottes, erfasst ihre Liebe zum Spiel der Weisheit auch mich und befreit mich zum Spielen. Gewinnen und Verlieren, Erfolg und Misserfolg sind dann bewusst einkalkuliert. Sie gehören untrennbar zum Spiel. Aber ist spiele aus Dankbarkeit und mit Freude.

Es ist wunderbar, im Fluss des Spiels zu sein, vergnügt mitzuspielen und mit freudiger Wachheit zu erleben, wie sich das Spiel entwickelt. Musik wird Musik, wenn sie in dieser Spielfreude glitzert und die Töne nicht nur stimmen, sondern klingen. Ein Tanz kann technisch perfekt sein. Doch erst wenn der Moment verzaubert ist, geht er unter die Haut und bleibt unvergesslich. Solche Es-Momente, in denen es einfach spielt, lassen sich nicht machen. Dem Spiel eignet ein eigentümlicher Widerspruch. Ich kann zwar unbedingt spielen wollen und mir viel Mühe geben, dass dies gelingt. Doch mein Wollen kann das Spiel gerade verhindern. Ein Spiel geschieht von selbst, aus Gnade. Es ersetzt gute Vorbereitung nicht. Aber erst wenn ich mit unbefangener Präsenz ins Spiel eintauche, beginnt es zu spielen – kontrolliert und wach für die Zufälle des Moments. Ein Spiel braucht Übung. Dass ich ins Spiel finde, ist indes ein Augenblick der Gnade.

Unser Predigttext weiss, dass dieses Spiel jeden Moment in purer Gnade geschieht und stets nur Schritt um Schritt gegangen werden kann. Er stellt deshalb den Weg ins Zentrum, den Paulus mit seinen Gefährten gerade geht. Voraus geht ihm ein Konflikt, in welchem Paulus herausgefordert wurde, seine Spielfähigkeit unter Beweis zu stellen (Apg 13,6-12). Es war die erste Bewährungsprobe im Rahmen seiner ersten grossen Mission, zu der er und Barnabas, unterstützt durch Johannes Markus, von der Gemeinde in Antiochia beauftragt wurden (Apg 13,1-3). Weitere Herausforderungen folgen in Kürze. Er aber schaut nicht auf das, was zurückliegt, sondern streckt sich nach dem aus, was vor ihm liegt (Phil 3,13). Und das ist der Weg, auf den er hier und jetzt vom heiligen Geist gesandt ist (Apg 13,4).

Dieser Weg führt ihn weg von Zypern (V13). Paulus ist der klare Leader der Gruppe. Barnabas und Johannes Markus werden nicht mit Namen genannt, sondern als die um Paulus (οἱ περὶ Παῦλον) zusammengefasst. In der Hafenstadt Paphos, in welcher sich der Konflikt ereignet hat, besteigen sie das Schiff. Von dort segeln sie nordwärts an die Küste der heutigen Türkei und gelangen nach Perge in Pamphylien. Sie sind vermutlich in der Hafenstadt Attalia von Bord gegangen und zu Fuss in das etwa 15km weiter im Landesinnern entfernte Städtchen gelangt. Was sie dort tun, wird nicht erzählt. Festgehalten wird jedoch, dass sich Johannes Markus von ihnen trennt und nach Jerusalem zurückkehrt. Gründe für die Trennung werden keine genannt. Später kommt es deswegen indes zum Zerwürfnis zwischen Barnabas und Paulus. Offenbar möchte Barnabas erneut mit Johannes Markus zusammenarbeiten, während dies für Paulus ausgeschlossen ist. Aus seiner Sicht hat Johannes Markus sie im Stich gelassen und sich nicht an ihrem Werk beteiligt (Apg 15,37-39). Es ist gut denkbar, dass er als Angehöriger der Jerusalemer Gemeinde stärker im Judentum verankert ist und sich mit der Radikalität schwertut, mit der Paulus jedes Festhalten am jüdischen Gesetz ablehnt und einzig und allein auf die Gnade Gottes setzt.

Unser Predigttext schenkt der Trennung von Johannes Markus keine weitere Aufmerksamkeit. Im Zentrum steht der Weg, den Paulus geht (V14a). Zusammen mit Barnabas zieht er nach Antiochia in Pisidien. Gründe für diese Destination werden keine genannt. Die Metaphorik spricht jedoch für sich. Der Weg von Perge nach Antiochia ist eine etwa 160km lange, nicht ungefährliche Reise durch das Taurusgebirge. Er veranschaulicht den Prozess, den Paulus und Barnabas zu vollziehen haben, um die erlebten Konflikte zu verarbeiten und in Antiochia anzukommen. Dieses Antiochia ist wie die Metropole Antiochia im Norden Syriens eine Stadtgründung des Seleukidenherrschers Antiochus des Grossen. Ihm verdanken die beiden Städte ihren gleichen Namen. In das syrische Antiochia wurde Paulus von Barnabas geholt (Apg 11,25). Dort stand er in dessen Schatten. Auf dem Weg in das andere Antiochia aber konsolidiert Paulus seine Führungsrolle. Er wird das Wort ergreifen und für seine Botschaft einstehen: dass nicht das Befolgen des Gesetzes Erlösung bringt, sondern der Glaube in Christus (Apg 13,38f). Im Glauben an die Gegenwart Gottes, wie sie durch Christus als inneren Meister geschieht, ist das menschliche Tun aus seiner Sicht von Moralismus und Ideologie befreit. Diese Freiheit wird Paulus zwar mit den Anhängern des jüdischen Gesetzes in Konflikt bringen (Apg 13,50), ihm aber seine Kraft und seine nachhaltige Wirkung geben.

Als Paulus und Barnabas in Antiochia ankommen, gehen sie am Sabbat in die Synagoge, setzen sich und nehmen am Gottesdienst teil (V14b.15). Wie üblich wird aus dem Gesetz und den Propheten gelesen, und wie üblich haben alle anwesenden Männer die Gelegenheit, sich zu den gehörten Lesungen zu äussern. Das Gremium, das der Synagoge vorsteht, lässt den Gäste ausrichten, dass sie reden sollen, wenn sie für das Volk, also alle, die da sind, ein Wort des Zuspruchs haben. Diese Chance lässt sich Paulus nicht entgehen. Er steht auf, und mit dem Gestus des Rhetors beginnt er seine erste grosse, in der Apostelgeschichte rapportierte Predigt. Schritt um Schritt ist er seinen Weg im Spiel der Weisheit gegangen, Schritt um Schritt hat er sich mit diesem Spiel vertraut gemacht, und nun überlässt er sich dem nächsten Schritt in diesem Spiel.

Besinnen wir uns heute, an Bettag, auf diesen Predigttext, gibt er uns Zeit, uns mit dem Spiel der Weisheit vertraut zu machen. Packen wir diese Gelegenheit!

Halten wir zunächst dies fest: Das Spiel der Weisheit durchdringt das ganze Universum. Die Weisheit hat es schon gespielt, als sich Gott an sein grosses Schöpfungswerk gemacht hat. Und sie spielt es bis in alle Zeit. Die Parameter dieses Spiels lassen sich erforschen und seine Funktionsweisen analysieren. Doch Verstehen kann man es nur, wenn man sich von ganzem Herzen, von ganzer Seele und mit ganzer Kraft (Deut 6,5) darauf einlässt, wenn man es nicht als blosse Spielerei betrachtet, sondern durch sein eigenes, existentielles Mitspielen zu begreifen beginnt. Paulus und seine Gefährten nehmen sich nach ihrem ersten grossen Konflikt auf Zypern Zeit für eine lange und beschwerliche Reise. Auf dieser Reise klären sich die Dinge. Für Johannes Markus wird deutlich, dass er die Mission von Paulus und Barnabas nicht mittragen will. Er trennt sich von ihnen und kehrt nach Jerusalem zurück. Umgekehrt gewinnt Paulus an Profil. Die Klarheit, dass das Spiel der Weisheit ein Spiel ist, das bedingungslos, frei von Wertungen, in purer Gnade, in diesem Universum geschieht und das alles, was es gibt, umfasst, konsolidiert sich, reift, gewinnt in ihm Kraft und Stärke. Auch wenn ihm diese Einsicht längstens klar sein dürfte, nutzt er diese Zeit der Besinnung, damit sie mehr und mehr in Fleisch und Blut übergeht und sich tiefer in seine Persönlichkeit integriert. Wie sollte es uns heute anders gehen!

Das Spiel der Weisheit braucht Zeit, um mit ihm vertraut zu werden, doch es konfrontiert auch mit seiner fundamentalen Offenheit. Die Weisheit wirft die Würfel jeden Moment neu, und die Weisheit lässt sich darauf ein, wie sie im Rahmen der Regeln aus purem Zufall fallen. Das Bild vom Weg, den Paulus und seine Gefährten gehen, illustriert es. Sie sind unterwegs, die Reise ist offen und führt sie über Wasser, Land und durchs Gebirge. Sie gehen ihren Weg einzig und allein im Vertrauen in die Gegenwart von Gottes Liebe und Weisheit. Das Spiel der Weisheit folgt seinen Regeln, aber ist nicht determiniert. Es schafft Zeit, und es geht immer weiter. Es lässt Zeit für Freiheit, Zeit für den Zufall, Zeit für Veränderungen. Für Überraschung ist gesorgt. Verstehe ich das Spiel der Weisheit als Weg meines Lebens, lebe ich im Fluss der Zeit und weiss, dass zwar Spielregeln gelten, aber nichts zuverlässiger ist als die Gegenwart Gottes. Sie gibt Stabilität auf dem Weg und Sicherheit im Spiel. Auf sie kann ich jeden Moment zurückgreifen, aus ihr kann ich jeden Moment schöpfen, in ihr kann ich mich auf das Spiel der Weisheit einlassen und ergebnisoffen mitspielen. So kontrollierbar das Spiel dank seinen Regeln sein mag – seine Offenheit für die Zukunft bleibt Herausforderung und Chance.

Diese Verankerung in der Gegenwart Gottes schafft jene Spielfreude, die sich unbefangen und wach auf das nächste Ereignis im Spiel einlässt. Spielfreude kommt erst auf, wenn diese Verankerung konsolidiert ist. Dies aber ist ein Weg. Die Reise von Paulus und seinen Gefährten zeigt es. Paulus setzt radikal auf die Gnade Gottes und das Würfelspiel der Weisheit, das darin geschieht. Johannes Markus dürfte das jüdische Gesetz und die Kontrolle, die dieses schafft, wichtiger als die Spielfreude gewesen sein, sodass er sich von Paulus trennt. Paulus und Barnabas aber setzen auf diese Freude und lassen sich im Vertrauen auf die Gegenwart Gottes auf das ein, was auf sie zukommt. Im pisidischen Antiochia gehen sie am Sabbat in die Synagoge, setzen sich und steigen unbefangen und wach in den Gottesdienst ein.  Sie kennen das Spiel, sind vertraut mit seinen Regeln und offen für Zufall und Überraschung. Wacht in mir die Spielfreude der Gegenwart Gottes auf, werde ich nicht von Angst und Sorge um die Zukunft beherrscht. Ich bleibe stattdessen locker, vergnügt und aufmerksam für das, was kommt. Wirklichkeit ist nicht nur das, was ich beobachte, wenn die Würfel fallen. Wirklichkeit ist auch die bedingungslose Freiheit, in welcher das Wahrscheinlichkeitsfeld der fliegenden Würfel geschieht. Diese Freiheit ist in jedem Hier und Jetzt gegenwärtig. In ihr nehme ich jeden Moment, wie er ist, bin aufmerksam, wie sich das Spiel der Weisheit entwickelt und bin mir bewusst, dass von einem Moment auf den andern ganz vieles ganz anders sein kann. Bleibe ich dabei aber in der Freiheit der Gegenwart Gottes, bin ich ganz von selbst, aus purer Gnade, mit Freude im Spiel und mit Sinn erfüllt.

Der heutige Bettag bietet uns eine wunderbare Gelegenheit, uns auf das grosse Würfelspiel der Weisheit Gottes zu besinnen. Mit Dankbarkeit können wir in diesem Spiel mitspielen, betend können wir uns mit ihm vertraut machen, und wenn wir uns verstrickt haben, können wir jeden Moment umkehren und uns neu auf dieses Spiel einlassen – ohne Angst vor möglichem Kontrollverlust und stattdessen mit wacher Spielfreude. Beten wir also, dass wir das Spiel der Weisheit spielen lernen und mit Freude darin mitspielen. Amen.

Predigt vom 15. September 2024 in Wabern
Bernhard Neuenschwander

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