Ein andres Gleichnis legte er ihnen vor und sprach: Das Reich der Himmel ist gleich einem
Menschen, der guten Samen auf seinen Acker säte. Doch während die Leute schliefen, kam
sein Feind und säte Unkraut dazu mitten unter den Weizen und ging davon: Als aber die Saat
sprosste und Frucht brachte, da zeigte sich auch das Unkraut. Da traten die Knechte des
Hausherrn herzu und sagten zu ihm: Herr, hast du nicht guten Samen auf deinen Acker gesät ?
Woher hat er nun das Unkraut ? Er aber sagte zu ihnen: Ein feindlicher Mensch hat das getan.
Da sagen die Knechte zu ihm: Willst du nun, dass wir hingehen und es zusammensuchen ? Er
aber sagt: Nein, damit ihr nicht, indem ihr das Unkraut zusammensucht, zugleich mit ihm den
Weizen ausrauft. Lasset beides miteinander wachsen bis zur Ernte, und zur Zeit der Ernte will
ich den Schnittern sagen: Suchet zuerst das Unkraut zusammen und bindet es in Bündel, damit
man es verbrenne; den Weizen aber sammelt in meine Scheune!
Mat 13,24-30
Liebe Gemeinde
Wie steht es um unser Vertrauen in den grossen kosmischen Prozess ? Wie steht es um unser
Vertrauen, dass unser Universum, unsere Welt, wir Menschen durch das Chaos hindurch in
Gott zerfallen und aus Gott durch das Chaos hindurch entstehen ? Haben wir wirklich
Vertrauen, dass alles, was es gibt, trotz des grossen Gesetzes des Zerfallens (der Entropie) in
Gott geborgen ist und aus Gott in Vibration versetzt und zur Kreation von neuen Ordnungen
befähigt ist ? Haben wir, wenn wir die Zeitung lesen und von unzähligen Dramen überall auf der
Welt erfahren oder wenn wir vom Arzt hören, dass unser Kind eine schwere Krankheit hat, das
Vertrauen, dass all dies in Gottes Händen gehalten ist und aus seinen Händen zu einem guten
Ende gelangen wird ?
Das Vertrauen, dass das Schicksal des Einzelnen, das Schicksal von Völkern, ja das Schicksal
des ganzen Kosmos in Gott geborgen und aus Gott geschaffen wird, ist das Angebot des
christlichen Glaubens. Nichts weniger als das. Ein solches Vertrauen ist ein Ereignis, das uns in
unserem Denken, Fühlen und Handeln nachhaltig prägt und verändert. Ein Ereignis, das unser
Auffassungsvermögen überfordert, dessen Spur wir aber entdecken können und uns die
Richtung weist, in welcher wir weitersuche können. Und es ist ein Ereignis, dem nachzudenken
wir kaum genügend Aufmerksamkeit schenken können.
Gottvertrauen von dieser fundamentalen Art ist keineswegs selbstverständlich und für die Einen
oder Andern möglicherweise schon fast ideologieverdächtig. Zu leicht könnte es fatalistisch
missverstanden werden und zu resignierter Passivität führen; und zu schnell könnte es als
Freipass für egoistisches Handeln missdeutet werden und dazu animieren, zu tun, was man
will, weil ja unser kleines Handeln im Angesicht kosmologischer Dimensionen völlig
bedeutungslos sei. Beides ist natürlich nicht in meinem Sinn. Mein Anliegen ist statt dessen,
uns Menschen als Teil eines Ganzen zu sehen, welches sich in uns verwirklicht. Wenn schon
jedes Sandkorn als Teil des Ganzen das Ganze sichtbar macht, wie viel mehr tun wir Menschen
dies ! Das Ineinander von Gott und Chaos ist unser Wesen; in dieses Ineinander zerfallen wir;
aus diesem Ineinander werden wir. An uns liegt es, bei allem, was uns widerfährt, uns in den
kosmischen Prozess dieses Ineinanders einzufügen, ihn immer besser wahrzunehmen, ihm mit
wachsender Sorgsamkeit zu folgen und uns in ihn zu lassen und aus ihm zu werden.
Neben den grundsätzlichen Bedenken können es aber auch die Erfahrungen unseres Lebens
sein, die das Misstrauen gegen ein solches Gottvertrauen wecken. Schon als Säugling
beginnen wir damit, die Dinge, die wir erfahren als angenehm oder unangenehm zu markieren,
unsere Welt entsprechend zu bewerten und unser Verhalten demgemäss zu organisieren. Wir
lernen, Weizen von Unkraut zu unterscheiden; wir lernen, dass Unkraut dem Weizen schaden
kann und dass es Möglichkeiten gibt, das Unkraut zu beseitigen; und wir können entscheiden,
dass wir Weizen mit unserem Verhalten systematisch kultivieren und Unkraut nachhaltig
bekämpfen wollen. Jedenfalls, wenn es um unseren eigenen Garten geht. In fremden Gärten
können wir im Konflikt unter Umständen der umgekehrten Logik folgen: Gegenüber unserem
Gegner können wir nicht nur auf die Förderung von Weizen verzichten, wir können bei ihm auch
bewusst Unkraut säen.
Spätestens beim letzten Beispiel wird deutlich, dass unser Unterscheidenkönnen von Weizen
und Unkraut ein Machtmittel ist, mit welchem wir uns nicht nur unsere eigene Welt aufbauen,
sondern auch diejenige von andern Menschen bekämpfen können. Wenn wir in fremden Gärten
mit Begehren, mit Neid und Hass, mit bösem Reden und bösen Tun Unkraut säen, dann
suchen wir die Zerstörung des Andern, um uns seines Gartens zu bemächtigen. Und weil wir
wissen, dass dies auch uns widerfahren kann, selbst wenn wir andern Menschen kein Unkraut
gesät haben, fühlen wir uns genötigt, uns gegen alles mögliche Unkraut, das von aussen in
unseren Garten eindringen könnte, zu schützen. Wir bauen Zäune, beginnen uns abzuschotten
und aggressiv zu bekämpfen, wer auch immer uns mit seinem Unkraut bedrohen könnte. Ob
dies nun eine Krankheit oder das Älterwerden und Sterben sei, oder ob es Menschen fremder
Kulturen seien oder einfach ungewöhnliche und störende Verhaltensweisen anderer Menschen.
Dabei wissen wir ja eigentlich schon, dass die Unterscheidung von Unkraut und Weizen
manchmal gar nicht so eindeutig ist. Das vorgetragene Gedicht „Sämann“ von Hilde Domin
hatte dies ja gezeigt (vgl. dies., Gesammelte Gedichte 130): Der leuchtend rote Mohn im
Weizenfeld ist eine Freude im Herzen. Wie könnte man ihn aus den Feldern herauslesen, ohne
diese zu zerstören ? Und wer weiss ? Vielleicht schafft er sogar ein ökologisches Mikroklima,
das in dieser oder jener Weise nicht nur für ihn selbst, sondern auch für den Weizen von Vorteil
ist.
Was also sollen wir nun mit Unkraut tun ? Gilt das Sprichwort: Wehret den Anfängen?
Offensichtlich lässt sich ein Unheil besser beseitigen, solange es noch klein ist. Ist es einmal
gross geworden, wird man ihm kaum mehr Herr und muss fürchten, selber von ihm vernichtet
zu werden. Nach dieser Logik versuchen wir der aus Nordamerika in Europa eingedrungenen
und im Herbst mit ihren Pollen allergenen Pflanze Ambrosia Herr zu werden, die bei uns keine
natürlichen Feinde hat, aber unsere Gärten rasch zu überwuchern droht. Dieser Logik folgen
aber auch die USA im Kampf gegen den Terrorismus oder in den letzten Wochen Israel in
seinen Auseinandersetzungen mit Hamas und Hizbullah. Nach dieser Logik schlucken wir
schon bei leichten Infekten Antibiotikum und bringen wir allzu eigenwillige Kinder oder
Mitarbeitende auf Kurs. Es ist uns klar, dass wir mit dieser Logik gelegentlich über das Ziel
hinausschiessen, aber aus Angst vor der Bedrohung nehmen wir dies in Kauf. Natürlich gäbe
es andere Möglichkeiten. Diese laufen jedoch alle darauf hinaus, das Unkraut mehr oder
weniger wachsen zu lassen. Und wäre dies denn besser ? Wäre dies nicht Ausdruck von
Naivität ? Kann Gottvertrauen so sein ?
Das Gleichnis vom Unkraut im Weizen weiss sehr wohl zwischen beidem zu unterscheiden, und
es nimmt durchaus ernst, dass Unkraut für den Weizen ein Problem werden kann; denn es ist
als Antwort auf ein Gleichnis im Markus-Evangelium zu verstehen, welches das Matthäus-
Evangelium gekannt, aber so nicht aufgenommen hat, nämlich das Gleichnis von der
selbstwachsenden Saat (Mk 4,26-29). In diesem Gleichnis wird ebenfalls erzählt, dass das
Himmelreich sei, wie wenn ein Mensch Samen in die Erde wirft, dann schläft und aufsteht,
Nacht und Tag, der Samen von selbst aufgeht, Frucht bringt und schliesslich geerntet wird.
Vom Unkraut ist in diesem Gleichnis aber nicht die Rede. Es will vielmehr Vertrauen schaffen,
dass der Weizen wächst, einfach weil sein Same gesät ist. Das Gleichnis vom Unkraut im
Weizen will demgegenüber auch Vertrauen schaffen, weil der Same des Weizen gesät ist. Aber
es tut dies im Wissen, dass auch das Unkraut gesät ist. Es hält also nicht naiv am Vertrauen
daran fest, dass der Weizen von selbst wächst, sondern es tut dies im Angesicht der
Bedrohung durch das Unkraut.
Seine Botschaft geht freilich in dieselbe Richtung. Es appelliert daran, das Unkraut mit dem
Weizen geduldig wachsen zu lassen und darauf zu vertrauen, dass im Letzten – also dort, wo
alles durch das Chaos in Gott zerfällt und alles aus Gott durch das Chaos entsteht – das
Unkraut verbrannt und der Weizen in Scheunen gesammelt wird. Es ermutigt also zum
Vertrauen in die Ernte am Schluss, selbst wenn jetzt auch die störenden Unkräuter wuchern.
Für das Matthäus-Evangelium ist dies eine klare Sache. Es interpretiert ja das Gleichnis nur
wenige Verse später (13, 36-43) in seiner allegorischen Weise: der Sämann ist der
Menschensohn; der Feind, der Unkraut sät, ist der Teufel; der Acker ist die Welt; der gute Same
sind die Söhne des Reichs; das Unkraut sind die Söhne des Bösen; die Ernte ist das Ende der
Welt; die Schnitter sind die Engel. Das Gleichnis ist für ihn insofern ein Beispiel dafür, dass das
kosmische Drama zwischen Gott und Teufel auf jeden Fall für Gott ausgehen wird. Aber für uns
heute ? Ist für uns die Sache auch so klar ?
Gewiss: Wenn wir die Zeitung lesen oder wenn wir von Schicksalsschlägen heimgesucht
werden, kann es uns schwer fallen, das Vertrauen in Gott zu behalten. Und wenn wir uns
bedroht fühlen und die Möglichkeiten zur Verteidigung haben, neigen auch wir dazu, rasch mit
schwerem Geschütz aufzufahren und den Gegner möglichst eindeutig ausser Gefecht zu
setzen. Es braucht viel innere Souveränität und Grösse, der Versuchung zu widerstehen, dies
sofort und ohne viel zu überlegen zu tun: Es braucht das Gottvertrauen, das Gott selbst in seine
Schöpfung hat; das Vertrauen, dass jedes Problem, was auch immer es sei, durch das Chaos
hindurch in Gott zerfallen und aus Gott durch das Chaos hindurch als kreative Lösung
auferstehen kann; das Vertrauen, dass das Unkraut auf diese Weise in Gott verbrannt und der
Weizen in Scheuen gesammelt wird. Natürlich mag uns ein energisches Einschreiten gegen
das Unkraut oft das Naheliegendste scheinen. Doch Herr werden wir über das Unkraut ja
dennoch nie. Unkraut findet immer wieder Wege, hier oder dort in unseren Garten einzudringen.
Weiser ist es deshalb, mit dem Unkraut leben zu lernen und darauf zu vertrauen, dass das
Chaos in Gott gehalten ist und dass Gott im Chaos gegenwärtig ist. Auf diese Weise lassen wir
nicht nur Weizen und Unkraut wachsen, sondern auch die göttliche Weisheit, durch die das
Chaos zerfällt und organisiert wird.
Der direkteste Weg ist nicht immer der schnellste, der härteste Eingriff gegen das Unkraut nicht
immer der wirksamste. Was als Abkürzung gemeint ist, kann ein endlos langer Weg werden;
was als Umweg hingenommen und akzeptiert wird, kann zu einem raschen Ergebnis führen.
Wenn unser Gleichnis uns dazu ermutigt, das Unkraut im Weizen wachsen zu lassen, will es
uns gewiss nicht zum naiven, gleichgültigen oder verantwortungslosen Laissez-faire verführen.
Vielmehr will es uns zum „Umweg“ in das Grosse Vertrauen ermuntern: zum Vertrauen, das
Gott in alles hat, was es gibt; zum Vertrauen, dass wir uns von diesem Vertrauen Gottes
durchdringen lassen können; zum Vertrauen, das seine Weisheit in uns wachsen lässt und uns
zeigt, wie im Ineinander von Gott und Chaos das Unkraut verbrannt und der Weizen in die
Scheuen gesammelt wird. Es will uns also Mut machen, nicht der Angst zu erliegen und selber
das Zepter gegen das Unkraut in die Hand zu nehmen, sondern das Vertrauen in die Weisheit
Gottes wachsen zu lassen, in welchem sich das Chaos so zurecht rückt wie es sein muss und
uns klar wird, was wir zu tun und was wir zu lassen haben. Beten wir also, dass Gott uns
hineinnehme in sein Grosses Vertrauen, auf dass auch wir gegen Unkraut nicht ängstlich und
unbesonnen überreagieren, sondern mit der Weisheit, die im Gottvertrauen gründet. Amen.
Predigt vom 03. September 2006 in Wabern
Bernhard Neuenschwander