Und er redete zu ihnen vieles in Gleichnissen und sprach: Siehe, der Sämann ging aus,
um zu säen. Und indem er säte, fiel etliches auf den Weg, und die Vögel kamen und
frassen es auf. Andres fiel auf den felsigen Boden, wo es nicht viel Erde hatte, und es ging
sogleich auf, weil es nicht tiefe Erde hatte; als aber die Sonne aufging, wurde es
verbrannt, und weil es nicht Wurzel hatte, verdorrte es. Andres fiel unter die Dornen, und
die Dornen wuchsen auf und erstickten es. Noch andres fiel auf den guten Boden und
brachte Frucht, etliches hundertfältig, etliches sechzigfältig, etliches dreissigfältig. Wer
Ohren hat, der höre!
So höret nun ihr das Gleichnis vom Sämann! Sooft jemand das Wort vom Reiche
hört und es nicht versteht, kommt der Böse und raubt das, was in sein Herz gesät ist. Dies
ist der, welcher auf den Weg gesät ist. Der aber auf den felsigen Boden gesät ist, das ist
der , welche das Wort hört und es alsbald mit Freuden aufnimmt; er hat jedoch keine
Wurzel in sich, sondern er ist ein Mensch des Augenblicks; wenn aber um des Wortes
willen Trübsal oder Verfolgung entsteht, nimmt er alsbald Anstoss. Der aber unter die
Dornen gesät ist, das ist der, welcher das Wort hört, und die Sorge der Welt und der Trug
des Reichtums ersticken das Wort, und es bringt keine Frucht. Der aber auf den guten
Boden gesät ist, das ist der, welcher das Wort hört und versteht; dieser bringt denn auch
Frucht, und zwar trägt der eine hundertfältig, der andre sechzigfältig, ein andrer
dreissigfältig.
Mat 13,3-9.18-23
Liebe Gemeinde
Es gibt im Neuen Testament Gleichnisse, die wie das Gleichnis von der selbstwachsenden
Saat (Mk 4,26ff) Vertrauen schaffen wollen. Andere wie das Gleichnis vom verlorenen
Sohn (Lk 15,11ff) wollen ermutigen. Wieder andere aber – und das Gleichnis vom Sämann
gehört zu dieser Gruppe – sind eine Ermahnung an die Hörenden. Sie gehen davon aus,
dass Menschen neben Zuspruch und Ermutigung manchmal auch zur Selbstkritik ermahnt
werden müssen und dass auch dies ein wichtiger Teil der Verkündigung ist. Eine
Ermahnung ist freilich nicht eine Drohung. Auch wenn in manchen Gleichnissen eine harte
Sprache gesprochen wird, so müssen sie doch im Zusammenhang von Vertrauen und
Ermutigung gesehen werden: Sie vertrauen darauf, dass die Ermahnung die Hörenden
dazu ermutigt, ihr Leben auf die Reihe bringen zu lassen und sich nicht in schlechten
Situationen festzubeissen. Es ist wichtig, sich dies von allem Anfang an klar zu machen,
um unser Gleichnis vom Sämann in den richtigen Relationen zu sehen.
Man kann das Gleichnis vom Sämann von unterschiedlichen Seiten betrachten. In der
Kirchengeschichte hat man es oft als Ausdruck der Verschlossenheit der Welt gegenüber
dem Wort Gottes gelesen: nur ein Viertel all derer, die das Wort Gottes hören, nehmen es
in sich auf und lassen es fruchtbar werden, die übrigen 3 Viertel sind dazu nicht in der
Lage. Die Botschaft war entsprechend: Bemüht euch darum, nicht zu den verlorenen 3
Vierteln, sondern zum fruchtbaren Viertel zu gehören ! Demgegenüber hat vor allem die
reformatorische Theologie protestiert und betont, dass Gott das Wort über alle Menschen
sät und dass nicht die menschliche Rezeption, sondern der fundamentale Gnadenerweis
Gottes das Entscheidende sei. Entsprechend wurde vor allem das grosszügige Säen
betont, die Offenbarung Gottes in Christus, das Verkündigen des Wortes in der Predigt,
das Geschenk der Gnade.
Bei aller Sympathie für das reformatorische Interesse gehe ich jedoch jetzt für diese
Predigt nicht von diesem Ansatz aus. Zu sehr erweckt er mir den Eindruck, dass er von
Paulus her das Matthäus-Evangelium vereinnahmt. Die erste Lesart entspricht
demgegenüber nach meiner Wahrnehmung stärker dem, was das Matthäus-Evangelium
sagen wollte, und was auch Jesus sagen wollte: Manchmal braucht es auch Ermahnung
zur kritischen Befragung von sich selbst.
Für das Verständnis des Gleichnisses möchte ich nun aber auch nicht den Weg
weitergehen, den das Matthäus-Evangelium eingeschlagen hat. Würde man dies nämlich
tun, müsste man die Menschen in 4 Gruppen aufteilen: in solche, die sich immer gleich
vom Bösen verführen lassen; in solche, die zu labil und wankelmütig sind; in solche, die zu
sehr in ihre eigenen Themen verstrickt sind; und schliesslich in solche, die tun, was alle
tun sollten: hören und fruchtbar werden. Tut man dies, muss man sich selbst auf den
Richterstuhl setzen und mit der Sicherheit dessen, der meint, zur 4. Gruppe zu gehören,
über alle andern urteilen. Es ist jedoch das Matthäus-Evangelium selber, das genau dies
verbietet. In der Bergpredigt (Mat 7,1) zitiert es Jesus mit den Worten: Richtet nicht, damit
ihr nicht gerichtet werdet ! Und in einem Gleichnis zum jüngsten Gericht (Mat 25, 38ff)
fragen die Geretteten, wann sie denn das Gute getan haben, für das sie jetzt belohnt
werden, denn sie haben dies gar nicht bewusst und willentlich getan. Matthäus sucht nicht
eine Ethik, die Menschen über Gut und Böse zu richten auffordert, sondern eine Ethik, die
den Menschen dazu bringt, das Richten über Gut und Böse zu lassen, sich statt dessen
an die bessere Gerechtigkeit als an die der Phärisäer zu halten (Mat 5,20) und auf diese
Weise die Gerechtigkeit Gottes zur Geltung zu bringen. Diese ist der Leitgedanke, die zu
verwirklichen das Matthäus-Evangelium Wert legt. Aus diesem Grund möchte ich unser
Gleichnis nicht von den 4 Menschengruppen her lesen, sondern von der Gerechtigkeit am
Ende her, von dem her, was am Ende zählt.
Was am Ende zählt, ist, dass Menschen ein fruchtbarer Acker Gottes sind. Zweierlei ist
dabei von Bedeutung: 1. dass Menschen tatsächlich Ackerland Gottes sind, und 2. dass
sie den gesäten Samen tatsächlich in sich aufnehmen, wachsen lassen und fruchtbar
werden lassen. In Frage steht nicht, ob Gott gesägt hat oder nicht. Dies ist eine Tatsache:
Jesus ist gekommen, hat das Evangelium verkündet und wird durch den heiligen Geist
weiterhin verkündigt. Daran gibt es gar nichts zu deuten. Die Frage ist einzig, ob wir bereit
sind für seine Gabe und was wir mit ihr machen. Wie also, müssen wir fragen, ist ein
Mensch, der ein fruchtbarer Acker Gottes ist ?
Ein solcher Mensch ist einer, der seine Zeit von Gott empfängt, und Gott in sich und durch
sein Tun wirken lässt. Dies ist die Übung, zu der wir durch dieses Gleichnis ermahnt
werden. Nichts weniger und nichts mehr als dies.
Der 1. Punkt ist der Einstieg: seine Zeit von Gott empfangen. Hierin steckt die Ermahnung,
weder selbst die Herrschaft über die eigene Zeit zu beanspruchen, noch andern
Menschen die Herrschaft über die eigene Zeit abzutreten.
Der Kampf um Zeit ist heute, wie wir alle allzu gut wissen, ein grosses Thema.
Eingespannt in verschiedenste Beziehung sehen wir uns oft mit konkurrierenden
Ansprüchen konfrontiert, werden zerrissen zwischen fremden und eigenen Bedürfnissen
und müssen ständig erleben, dass wir es einfach nicht schaffen, allem gerecht zu werden.
Auch wenn wir unser Tempo zum x-ten Mal steigern, so kommen wir doch irgend einmal
an eine Limite, die wir nicht schadlos überschreiten können. Wir ringen dann um ein
optimaleres Zeitmanagement, um effizientere Arbeitsweisen und präzisere
Handlungsabläufe, aber das Problem wird nicht wirklich gelöst, sondern im besten Fall
etwas relativiert und aufgeschoben. Was demgegenüber Not tut, ist, dass wir uns wieder
daran erinnern, dass wir unsere Lebenszeit nicht uns selbst verdanken, sondern Gott;
dass wir uns wieder Zeit zum Beten und Meditieren nehmen; dass wir uns Leerräume
schaffen, in denen wir unsere Zeit von Gott bewusst empfangen.
Es ist mir klar, dass eine solche Ermahnung heute schon fast illusionsverdächtig ist. Und
doch fällt mir in unzähligen Gesprächen auf, wie oft Menschen dankbar oder sogar mit
Tränen in den Augen reagieren, wenn sie genau daran erinnert werden. Wir alle können,
um mit unserem Gleichnis zu reden, von Bösartigkeiten verführt, von Unklarheiten
destabilisiert und von Dornen erstickt werden. Wir alle bedürfen der Ermahnung anderer
Menschen, dass wir fruchtbare Äcker Gottes sind, und wir alle sind dazu aufgerufen,
andere Menschen darin zu unterstützen, sich genau daran zu erinnern. Genau an dieser
Stelle kann und muss sich eine christliche Gemeinde als solche erweisen: dass sich ihre
Glieder gegenseitig zur Übung ermahnen und unterstützen, ihre Zeit von Gott zu
empfangen und Acker Gottes zu sein. Nur so verbeisst sie sich nicht in Kleinlichkeiten,
dreht sich nicht bloss um Partikularinteressen und sorgt sich darum, dass sie als ganze
Gemeinde fruchtbar ist.
Seine Zeit von Gott zu empfangen, ist der 1. Punkt. Der 2. ist, Gott in sich und durch sein
Tun wirken zu lassen. Mit Bedacht sage ich zuerst: „in sich“ und dann: „durch sein Tun“.
Wir sind, um mit einem alten Wort Bernhard von Clairvauxs, dem mittelalterlichen
Mystiker, zu sprechen, nicht ein „Rohr“, durch das die empfangene Gnade bloss
hindurchfliesst und sogleich verbraucht wird, sondern wir sind eine „Schale“, welche mit
der Gnade zuerst gefüllt werden muss, um gleichsam aus dem Überfluss weiterfliessen zu
lassen. Nur wenn wir so aus der Fülle handeln, haben wir die nötige Zeit, uns nicht in
unserer eigenen Getriebenheit zu verlieren, sondern tatsächlich den Samen Gottes in uns
wachsen und aufgehen kann. Diese Zeit der Reifung ist alles andere als nebensächlich
und unwichtig. Sie ist die Voraussetzung dafür, dass der Same Gottes gedeihen kann,
kraftvoll wird und für alle zur Gnadengabe werden kann, die von seinen Früchten zehren
können.
Dies setzt schliesslich aber auch voraus, dass die Reifung tatsächlich ihre Früchte zeitigt.
Im Grunde genommen ist dies freilich eine ganz natürliche Folge des Vorangegangenen.
Ist der Ackerboden Gottes fruchtbar, ist es nicht nötig, moralische Forderungen von Gut
und Böse zu erheben, von sich selbst und andern Menschen entsprechende Taten zu
fordern und diese Taten nach den gesetzten Massstäben zu beurteilen. Dieses moralische
Denken bleibt – in der Sprache des Matthäus-Evangeliums gesprochen – immer
pharisäerisch. Und wenn es noch so gut gemeint ist. Die Früchte jedoch, die in einem
guten Acker Gottes reifen können, können ganz verschieden sein. So verschieden, wie die
Früchte des Feldes verschieden sind. Dem Einen mögen sie sich als Klarheit für seine
Lebensaufgabe zeigen, dem Andern als freudige Liebe für einen Menschen oder eine
Tätigkeit. Dem Einen als Kraft für ein heiteres Engagement, dem Andern als Weisheit, die
Dinge zu unterscheiden und zu sehen. Und so verschieden wie die Früchte sein können,
so verschieden kann auch ihre Menge sein. Der Eine trägt hundertfältig, der andere
sechzigfältig, ein anderer dreissigfältig. Letztlich aber kommt es auch darauf nicht an,
sondern darauf, dass wir überhaupt und wirklich ein fruchtbarer Acker Gottes sind.
Lassen wir also das Urteilen über andere Menschen ! Gott lässt seine Früchte nicht von
uns normieren und durch unsere Massstäbe beurteilen. Denn er bleibt unser Richter, ihm
können wir unseren Moralismus mit guten Grund überlassen. Beten wir deshalb darum,
dass wir uns ermahnen lassen, die fruchtbaren Äcker Gottes zu sein, die wir in Wahrheit
sind. Amen.
Predigt vom 11. Juni 2006 in Wabern
Bernhard Neuenschwander