In Cäsarea aber war ein Mann mit Namen Kornelius, ein Hauptmann, der zur sogenannten Italischen Kohorte gehörte. Der war fromm und gottesfürchtig samt seinem ganzen Haus; er gab reichlich Almosen für das Volk und betete stets zu Gott. Um die neunte Stunde des Tages sah dieser in einer Vision deutlich, wie ein Engel Gottes bei ihm eintrat und zu ihm sagte: Kornelius! Er sah ihn an und fragte voller Furcht: Was ist, Herr? Der aber sagte zu ihm: Deine Gebete und deine Almosen sind aufgestiegen vor Gott, und es wird ihrer gedacht. Schicke nun Männer nach Joppe und lass einen gewissen Simon kommen, der den Beinamen Petrus trägt. Er ist zu Gast bei einem Gerber namens Simon, dessen Haus am Meer liegt. Als der Engel, der mit ihm sprach, weggegangen war, rief er zwei seiner Haussklaven und einen frommen Soldaten aus seiner Dienstmannschaft, unterrichtete sie über alles und schickte sie nach Joppe. Apg 10,1-8
Heiligabend! Der Moment ist verzaubert. Kerzen leuchten und Weihnachtslieder erfüllen den Raum. Es gibt Ruhe und Stille, und für einen Augenblick scheint es Frieden auf Erden zu geben. Die Welt ist keine andere geworden, ihre Schrecken und Plagen sind nicht verschwunden. Doch sie treten für eine kurze Weile in den Hintergrund. Wenigstens jetzt soll etwas von jenem Heiligen und Heilenden spürbar werden, das zwar ständig da ist, doch nur allzu oft übergangen und übersteuert wird. Wenigstens in dieser Heiligen Nacht soll jenes Geheimnis gegenwärtig werden, dem alles, was es gibt, sein Dasein verdankt, das heilt und erlöst und das in allen Zufällen des Moments ständig gegenwärtig bleibt.
Weihnachten ist ein grosses Gleichnis. Die Geschichte von Weihnachten erzählt von der zufälligen Geburt eines Kindes in einem zufälligen Stall in einem zufälligen Moment der grossen Geschichte dieses Universums. Doch sie macht auch deutlich, dass sich in genau diesem Ereignis viel mehr anzeigt, als was auf den ersten Blick erfassbar ist. Denn hier wird Gottes Wort Fleisch, hier wird Gottes Information Materie. Das eine ist vom anderen nicht zu trennen. Die Information des Universums ist in genau diesem zufälligen Neugeborenen gegenwärtig, und dieses zufällige Neugeborene führt die Evolution der Information dieses Universums fort. Die Weihnachtsgeschichte versucht nicht, dies zu erklären. Aber sie macht unmissverständlich klar, dass genau dieses zufällige Ereignis die Erlösung ist. «Fürchtet euch nicht!», verkünden die Engel. «Euch wurde heute der Retter geboren, der Gesalbte, der Herr, in der Stadt Davids.» Das neugeborene Kind, in Windeln gewickelt und in einer Futterkrippe liegend, ist das Zeichen (Lk 2,10-12). Gottes Information im ganz konkreten, zufälligen Hier und Jetzt ist die Erlösung. Bin ich mit dieser Gegenwart synchronisiert, bin ich erlöst. Mehr ist nicht nötig. Deshalb laufen die Hirten, denen die Engel die Botschaft kundgetan haben, eilends zu jenem Stall, und sie finden Maria und Josef und das neugeborene Kind, das in der Futterkrippe liegt (Lk 2,16). Der Moment der Begegnung mit dem Neugeborenen wird zu ihrer Erleuchtung. Intuitiv begreifen sie, dass die Information des Universums in dieser Begegnung gegenwärtig ist, dass nichts fehlt, dass sie durch und durch erlöst sind. Die Hirten kehren zurück und preisen und loben Gott für alles, was sie erlebt haben (Lk 2,20). Sie haben die Weihnachtsgeschichte als Gleichnis erlebt, und die Tiefendimension, die sie birgt, ist in ihnen aufgeblitzt.
Die Weihnachtsgeschichte enthält einen unfassbaren Sinnüberschuss, der auch nach Jahrhunderten nicht verbraucht ist. Versteht man sie als Gleichnis für die Gegenwart der Information von Gott, dem Geheimnis dieses Universums, in der Materie dieses Universums, wird sie in ihrer Zufälligkeit zu einer Grundgeschichte, die vom Geheimnis unseres Daseins erzählt. Wer sie verstehen will, muss die Grenzen des Vertrauten und Gewohnten überschreiten und sich einem evolutiven Prozess aussetzen, der in grosse Offenheit und Weite führt. Genau davon erzählt unser Predigttext.
Mit ihm beginnt nämlich eine längere Geschichte, die von einem Sprung in der Entwicklung des Urchristentums erzählt. Hauptfigur ist Simon Petrus. Bekannt ist Petrus als Jünger Jesu, der durch sein Engagement auffällt und oft als Sprecher der Jünger in Erscheinung tritt. Nach der Himmelfahrt Jesu übernimmt er zusammen mit den anderen Aposteln die Leitung der Urgemeinde und steht in den jüdischen Gemeinden in und um Jerusalem und bis vor den Hohen Rat (Apg 3-4; 5,12-41) ein für den neuen Glauben an Jesus Christus, den Nazarener (Apg 3,6). In diesem Zusammenhang besucht er auch die judenchristlichen Gemeinden in Lydda und Joppe. Davon wird unmittelbar vor unserem Predigttext erzählt (Apg 9,32-43). Die Geschichte, die nun aber berichtet wird, erzählt, wie Simon Petrus wider seinen Willen begreifen muss, dass der Glaube, für den er einsteht, die Grenze der jüdischen Gemeinschaft überschreitet und auch Menschen, die nicht zu ihr gehören, offensteht. Illustriert wird also die bedingungslose Offenheit des neuen Glaubens und seine universale Dimension, wie sie an Weihnachten aufleuchtet und über die Jahrhunderte bis zum heutigen Tag immer grösserer Horizonte sichtbar macht.
In unserem Predigttext ist von Simon Petrus erst am Rande die Rede. Im Zentrum steht stattdessen eine Figur, die ganz und gar nicht zum sozialen Umfeld gehört, in welchem sich Petrus bislang bewegt: ein Mann namens Kornelius, der Centurio der römischen Armee ist, also einer Hundertschaft vorsteht, und der zur Italischen Kohorte gehört. Stationiert ist er in der Stadt Cäsarea. Cäsarea verfügt über einen künstlich erbauten Hafen am Mittelmeer und ist Residenzstadt des römischen Prokurators (V1). Kornelius ist nicht jüdisch, sondern gehört zur Besatzungsmacht. Doch er und sein ganzes Haus sind fromm und gottesfürchtig. Er gibt Almosen für das Volk, also die jüdische Bevölkerung, und er betet stets zu Gott (V2). Obwohl er formal zu jenen gehört, die Petrus und seinem jüdischen Umfeld als Gegner gegenübersteht, steht er ihm in seinem Glauben und Verhalten überraschend nahe.
Erzählt wird nun, dass Kornelius wie Maria, die Mutter Jesu, von einem Engel besucht wird und dass es bei ihm Weihnachten wird (Lk 1,26-38). Um die neunte Stunde, also mitten am Nachmittag, hat er nämlich eine Vision (V3). Deutlich sieht er, wie ein Engel Gottes bei ihm eintritt und ihn mit seinem Namen Kornelius anspricht. Kornelius sieht ihn an und drückt voller Furcht seinen Schrecken aus. Der Engel antwortet ihm, dass seine Gebete und Almosen vor Gott aufgestiegen sind und dass nun ihrer gedacht werde (V4). Kornelius soll also belohnt werden, und er bekommt klare Anweisungen, was er zu tun hat (V5f). Der Engel gibt ihm zu verstehen, dass er Männer nach Joppe schicken soll und dass er einen gewissen Simon mit dem Beinamen Petrus kommen lassen soll. Zudem informiert er ihn, wo dieser Simon zu finden ist. Anschliessend wird erzählt, dass der Engel wieder weggeht und dass Kornelius umgehend ausführt, was ihm der Engel auftragen hat: Er ruft zwei Haussklaven und einen frommen Soldaten aus seiner Dienstmannschaft herbei, unterrichte sie, was geschehen ist und schickt sie nach Joppe.
Die Fortsetzung erzählt dann, wie Petrus zu Kornelius kommt und wie für alle klar wird, dass die Taufe auch Kornelius und seinem Umfeld offensteht, dass also die bisherigen, sozialen Grenzen aufgelöst sind und dass der neue Glaube viel weiter, tiefer und umfassender ist als alles, was bis anhin denkbar gewesen ist.
Heute ist Heiligabend. Heute feiern wir ein Ereignis, das uns mit dem Geheimnis unseres Daseins vertraut macht: dem Geheimnis, dass es überhaupt etwas gibt und nicht nichts. Heute besinnen wir uns darauf, dass sich die Information von Gott, dem unfassbaren Geheimnis dieses Universums, jeden Moment offenbart, dass sie in allem, was geschieht, treu bleibt und dass sie nicht aufhört, immer neu gegenwärtig zu sein.
Die Information Gottes hat ihre eigene Dynamik: Sie will sich selbst verwirklichen. Aus sich selbst wirft sie sich ins Dasein und lässt in einem Prozess von Milliarden von Jahren dieses Universum entstehen. In einem Winkel dieses Universums bringt sie eine Atmosphäre hervor, setzt eine Evolution in Gang und schafft Leben – Pflanzen, Tiere und Menschen, die über all das, was da geschieht, nachdenken. Und dieser Prozess geht voraussichtlich in aller Zukunft weiter. Der Impuls dazu steckt in der Information Gottes selbst. Sie selbst will sich materialisieren, austesten und entwickeln, und sie selbst will sich in diesem grossen Spiel mit dem Zufall selber verstehen. Dabei verschwendet sie sich grosszügig, nimmt ihre eigene Fragilität in Kauf und vertraut darauf, dass sie ständig aus Gott schöpfen kann. In poetisch theologischer Sprache gesprochen ist das Motiv für diese Selbstverwirklichung der Information Gottes ihre Liebe und Weisheit. «Weder Tod noch Leben, weder Engel noch Mächte, weder Gegenwärtiges noch Zukünftiges noch Gewalten, weder Hohes noch Tiefes noch irgendein anderes Geschöpf vermag uns zu scheiden von der Liebe Gottes, die in Christus Jesus ist, unserem Herrn.» (Röm 8,38-39) Diese Liebe ist «Tiefe des Reichtums, der Weisheit und der Erkenntnis Gottes» (Röm 11,33). Die Information Gottes verwirklicht sich in diesem Universum, in dieser Welt, in diesem meinem Leben, aus Liebe und Weisheit. Sie nimmt sich ihre Zeit, wird in der Zeit, was sie ist, und sie will uns Menschen in ihren Prozess hineinnehmen.
Unser Predigttext illustriert dies auf anschauliche Weise. Die Information Gottes agiert nicht nur auf vertrauten Wegen, sondern auch durch Fremde, ja durch vermeintliche Gegner. Als Repräsentant der Besatzungsmacht gehört Kornelius zu den Tätern und Petrus zu deren Opfer. Doch die Information Gottes ergeht gerade an Kornelius. Dieser hat den Mut, sich an Petrus zu wenden, und Petrus ist bereit, sich auf Kornelius einzulassen. Die Selbstverwirklichung der Information Gottes lässt sich durch menschliche Schranken nicht irritieren, und sie bleibt nicht gefangen in fixierte Täter- und Opferschemen. Sie erinnert uns Menschen stattdessen an unsere eigene Begrenztheit und fordert uns dazu auf, nicht in uns selbst, unseren Überzeugungen und Kränkungen zu verharren, sondern über unseren Schatten zu springen, uns selbst zu lassen, auf Gott zu blicken und auf seine Information zu hören. Sie ist das, worauf wir uns einlassen, wenn wir beten: Dein Wille geschehe. Tun wir das, wachsen auch wir über uns selbst, tun wir das, finden auch wir mitten in unseren Freuden und Leiden unsere eigene Selbstverwirklichung.
Heiligabend ist ein zufälliger Blitz, der einen kurzen Blick in diesen grossen Prozess der Selbstverwirklichung der Information Gottes freigibt. An Heiligabend verkünden die Engel ihre frohe Botschaft, an Heiligabend erinnern wir uns an die Geburt im Stall, an Heiligabend wird die erlösende Information Gottes gegenwärtig. Heiligabend macht offenbar, was jeden Augenblick, in welchem dieses Universum geschieht, offenbar ist. Doch Heiligabend bringt uns diese Information auf seine einmalige, zufällige und poetische Weise nahe. Wir müssen dazu keine Bedingungen erfüllen. Entscheidend ist vielmehr, dass wir nicht in unseren Erwartungen verharren, wie sie sich zu zeigen hat, sondern dass wir bereit sind, uns darauf einzulassen, wie sie uns entgegenkommt. Die Information Gottes folgt ihrem eigenen, geheimnisvollen Prozess der Selbstverwirklichung. Wir können uns bloss für sie öffnen, auf sie hören, uns darin akzeptieren, wie wir sind, und aus ihr unser Leben in Selbstverantwortung und Aufrichtigkeit leben. Das aber ist unsere Erlösung, das ist unsere Chance, in diesem grossen Prozess des Universums uns selbst zu werden.
Die Weihnachtsbotschaft ist jedes Jahr eine frohe Botschaft. Sie befreit uns von uns selbst, und sie verbindet uns mit der grossen Information Gottes, durch die dieses Universum geschieht. Auf sie zu hören, erlöst, sich von ihr leiten zu lassen, macht glücklich. Beten wir also, dass die Weihnachtsbotschaft ankommt und dass es auf dieser Erde Weihnachten wird. Amen.
Predigt vom 24. Dezember 2023 in Wabern
Bernhard Neuenschwander