Der Himmel auf Erden

Der Himmel auf Erden

Und die Jünger traten herzu und sagten zu ihm: Warum redest du in Gleichnissen zu
ihnen ? Er aber antwortete und sprach: Weil es euch gegeben ist, die Geheimnisse
des Reiches der Himmel zu erkennen, jenen aber ist es nicht gegeben. Denn wer
hat, dem wird gegeben werden, und er wird Überfluss haben; wer aber nicht hat, dem
wird auch das genommen werden, was er hat. Deshalb rede ich in Gleichnissen zu
ihnen, weil sie mit sehenden Augen nicht sehen und mit hörenden Ohren nicht hören
und nicht verstehen…Sooft jemand das Wort vom Reich hört und es nicht versteht,
kommt der Böse und raubt das, was in sein Herz gesät ist.
Mat 13, 10-13.19

Liebe Gemeinde
Auffahrt ist ein Ereignis, das uns zu Innerst in unserem Herzen angeht, das uns im
Tiefsten berührt, das uns mit dem Grössten verbindet: Auffahrt ist Hauch des
Himmelreichs in unserer Mitte. Es braucht Stille, um diesen Hauch zu vernehmen,
Zärtlichkeit, um ihn zu spüren und Sorgsamkeit, um ihn zu erfahren. Und es braucht
Zeit. Zeit der Ruhe und Besinnung. Zeit des Gebets und der Meditation. Auffahrt ist
ein intimes Geschehen, das nicht von Äusserlichkeiten gestört werden will, sondern
den geschützten Raum verlangt, den sicheren Ort, um sich im Innern entfalten zu
können. Versuchen wir doch, ihm diesen Raum zu geben !
Auffahrt ist vielen modernen Menschen kaum mehr verständlich. Es ist heute
keineswegs mehr selbstverständlich, dass man wenigstens noch weiss, dass
Auffahrt das Fest der Himmelfahrt Jesu ist, geschweige denn, dass man aus
persönlichem Erleben verstanden hat, was in diesem Fest gefeiert wird. Und dabei
geht es bei diesem Fest gerade um die persönliche Erfahrung. Alles sprachliche oder
historische Analysieren der biblischen Auffahrtsberichte hilft für das Verstehen nicht
sehr weit, bleibt fremd und einigermassen eigenartig. Was hier gefordert ist, ist die
Bereitschaft, das distanzierende Beobachten beiseite zu stellen und sich selbst vom
Auffahrtswunder berühren zu lassen. Wie aber, wenn man schon möchte, kann man
das tun ?
Diese Frage ist nicht verschieden von der Frage, wie man beten kann. Die Berührung
durch das Auffahrtswunder erschliesst sich nur dem Menschen, der beten,
meditieren, still sein kann. Nur wer mit dem Gebet vertraut ist, wird auch mit dem
Geheimnis von Auffahrt vertraut gemacht. Ohne diesen spezifischen inneren Raum,
der durch das Gebet geschaffen wird, gibt es kein Erkennen und kein Verstehen von
Auffahrt. Im Gebet aber ist Auffahrt der Moment, in welchem man nicht nur mit
Worten, Bildern, Gedanken auf Gott bezogen ist, sondern erlebt, wie diese Worte
gleichsam in die Tiefe entschwinden. Wie ein Gongschlag in die Tiefe verklingt, so
können im Gebet auch alle mentalen Vorstellungen von Gott verklingen und ein Tor
zu einem Raum öffnen, welcher anders und weiter und grösser ist als alles, was man
sich vorstellen und denken oder mit Worte sagen und beschreiben kann. Es ist der
Raum des Überraumzeitlichen, der Raum des Ewigen, der Raum des Himmelreichs,
der sich so zu öffnen beginnt. Dieser Raum ist grundsätzlich allen Menschen
zugänglich, und viele Menschen werden sein rasches Vorbeihuschen schon erlebt
haben. Oft freilich bleibt es bei dem flüchtigen Kontakt, oft bleibt bloss die
unheimliche Erinnerung und die Furcht vor erneuter Berührung. Es braucht Übung,
mit diesem Raum vertraut zu werden, dem offenen Tor standzuhalten und sich durch
dieses Tor in den Raum des Himmels hereinnehmen zu lassen. Wo dies aber
geschieht, beginnt Auffahrt zu geschehen und beginnt man zu verstehen, was es
heisst, dass Jesus, das Wort, das Bild, das Zeichen Gottes verklingt, in den Himmel
aufgenommen wird, aber uns daran teilnehmen lässt und uns einen Hauch des
Himmelreichs schenkt.
Ereignisse dieser Art sind keineswegs bloss Luxus eines normalen und anständigen
Glaubenslebens, welcher die individuellen Bedürfnisse einzelner Menschen
befriedigen mag, für das rechte Leben aber entbehrlich oder sogar hinderlich sind.
Nein, Auffahrt ist keine Egotrip, um für sich ein Stück Himmel zu erlangen. Auffahrt
ist das Herangelassenwerden zur Geschenkübergabe, die an Pfingsten geschehen
wird: der Geschenkübergabe des Heiligen Geistes, der unerschöpflichen Quelle,
welche ihr Wasser ohne Mass verschenkt, den Vertrockneten Leben gibt und der
Welt die Ressource bietet, wieder zum paradiesischen Ort Gottes zu werden. Dieses
Geschenk ist so unentbehrlich für das Leben wie das Beten, so unentbehrlich für das
Arbeiten wie das Lieben. Es ist deshalb viel mehr als Pflicht, für dieses Geschenk
dankbar zu sein, es zu würdigen und in Ehren zu halten: es ist natürliches Tun aus
Freude und Liebe.
Allerdings ist durchaus wahr, dass Auffahrt nicht auf ein Abheben des Menschen
zielt. Nicht zufällig bleiben die Jünger im Auffahrtsbericht am Boden, und nicht
zufällig weist sie das Wort der Engel in der Apostelgeschichte darauf hin, dass der
aufgefahrene Jesus so kommen wird, wie er in den Himmel emporgehoben worden
ist: Wer Jesus in der Himmelfahrt wie einen Gongschlag verklingen lässt und mit dem
Himmelreich, das auf diese Weise kommt, beschenkt wird, der wird darin auch die
Kreativität vernehmen, mit welcher Gott durch den Menschen wirken will. Er wird den
Geist empfangen, der neues Leben bringt; er wird das Wort hören, durch das Gott
die Welt neu schafft; er wird mit Taten und Worten den Willen Gottes zu erzählen
beginnen und deutlich machen, dass all sein Tun nichts als Gleichnis des
Himmelreichs ist. Das Ereignis von Auffahrt verändert – zusammen mit Pfingsten –
das Leben auf nachhaltige Weise, schafft eine neue Orientierung, eine neue
Motivation, eine neue Zielsetzung. Es ist das Ereignis, durch das man damit beginnt,
sein Leben von Gott her zu kreieren und zu leben und damit aufzuhören, bloss sich
selbst zu repetieren.
Es ist schon so: Auffahrt bildet eine eigentümliche Schlaufe, die Schlaufe von der
Erde zum Himmel, und vom Himmel wieder zur Erde. Auch wenn diese Schlaufe
heutzutage oft als unnötiger Umweg abgetan wird, so ist sie eben doch die
Grundlage für ein erwachtes, mitfühlendes und glückliches Leben in Gemeinschaft
mit andern Menschen und der ganzen Schöpfung. Sie zu streichen ist die
Grundversuchung des Menschen. Die Versuchung, sein zu wollen wie Gott und auf
die Schlaufe mit Gott zu verzichten. Das Thema ist – wie wir wissen – überall
gegenwärtig.
Und auch das wissen wir: Der Teufel ist ein grosser Verwandlungskünstler. Schwierig
ist es, ihn zu fassen. Versucht man es, ist man bald konfus und weiss nicht mehr zu
unterscheiden zwischen Lichtern und Irrlichtern, ist verstrickt in seine Possen und
längstens ausgeliefert seinem Treiben. Umso stärker muss deshalb der Glaube sein,
der sich von seinen Verführungen nicht irritieren lässt, und klar bleibt, sobald er sein
Verwirrspiel beginnt. Diese Klarheit und Stärke des Glaubens aber gibt es nur, wenn
man sich immer wieder auf die Schlaufe mit Gott einlässt und in wachsenden Kreisen
tiefer und tiefer in sein Geheimnis eintaucht. Ohne diesen Fixpunkt im Himmel
können wir keine Orientierung behalten und sind dem Treiben des grossen
Verführers bedingungslos ausgeliefert. Diesem aber geht es um nichts anders als um
dieses: dass wir auf die Schlaufe mit Gott verzichten und mit unserem noch so gut
gemeinten Tun zu seinen Dienern werden.
Ist jetzt noch verwunderlich, dass Jesus in unserem Predigttext festhält, dass den
Jüngern, denen die Schlaufe mit Gott gegeben ist, immer mehr von der Einsicht
gegeben ist, dass das Himmelreich im Gleichnis geschieht, dass aber denjenigen,
denen es nicht gegeben ist, auch das genommen wird, was sie haben, indem ihnen
der Böse bzw. der Teufel diese Einsicht aus dem Herzen raubt ?
Es ist offensichtlich so: Es gibt im Leben Aufwärts- und Abwärtsspiralen. Wer auf die
Gleichnisse hört und in seinem Gottesglauben wächst, der sieht immer mehr, wie
Himmel und Erde sich berühren und wie Himmel und Erde gemeinsam die
Wirklichkeit erschaffen, die sie in Wahrheit ist. Er sieht, dass dieser grosse
kosmische Prozess viel grösser ist als jede Irritation des Bösen, viel notwendiger als
jedes Aufbegehren, aber auch viel gütiger als jedes gutgemeinte Agieren des
Menschen. Er sieht den Grossen Weg Gottes. Wer dies zu verstehen beginnt, der
erkennt die Welt als Gleichnis: als Ausdruck der Gemeinsamkeit von Himmel und
Erde, als kreative Erzählung des kosmischen Prozesses, als Weg, auf dem es nichts
anderes zu tun gibt, als das Wahrnehmen und Gestalten der Wirklichkeit wie sie in
Wahrheit ist.
Wer jedoch nicht bereit ist, auf die Gleichnisse zu hören und sich auf diesen
kosmischen Prozess einzulassen, der hat sich bereits durch die Versuchung des
Bösen verführen lassen, wird immer mehr auch verlieren, was er bereits erkannt hat
und in zunehmendem Masse die Dunkelheit der Entfremdung zu spüren bekommen.
Das Fest von Auffahrt ist eine wunderbare Einladung, die Abwärtsspirale zu
durchbrechen und die Aufwärtsspirale zu verstärken. Es ist die grosse Einladung,
uns auf den grossen kosmischen Prozess einzulassen und ihm unsere Zeit zu
geben. Die Zeit, die wir so „verlieren“, gewinnen wir hundertfach zurück, indem wir
beschenkt werden mit der Klarheit der Stille, dem Atem der Zärtlichkeit, dem Geist
der Sorgsamkeit und wir zum Segen Gottes werden für andere. Bitten wir deshalb
Gott, dass er uns die Welt als Gleichnis seines Reiches offenbare und wir Mit-
Schöpfer werden von seinem grossen, kosmischen Prozess. Amen.

Auffahrtspredigt vom 25. Mai 2006 in Wabern
Bernhard Neuenschwander

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