Trost in Konflikten

Trost in Konflikten

Da beschlossen die Apostel und die Ältesten samt der ganzen Gemeinde, aus ihrer Mitte ausgewählte Männer zusammen mit Paulus und Barnabas nach Antiochia zu senden, nämlich Judas, den man auch Barsabbas nannte, und Silas, führende Männer unter den Brüdern. Sie sollten das folgende Schreiben überbringen: Wir, die Apostel und die Ältesten, in geschwisterlicher Verbundenheit, an die Brüder und Schwestern in Antiochia, in Syrien und Kilikien, die zu den Heiden gehören: Seid gegrüsst! Da wir vernommen haben, dass einige von uns, denen wir keinen Auftrag erteilt haben, zu euch gekommen sind und mit ihren Worten Verwirrung gestiftet und euch beunruhigt haben, haben wir einstimmig beschlossen, ausgewählte Männer zu euch zu senden, zusammen mit den von uns geliebten Brüdern Paulus und Barnabas, die beide ihr Leben eingesetzt haben für den Namen unseres Herrn Jesus Christus. Wir haben also Judas und Silas gesandt, die euch dasselbe mündlich mitteilen werden. Denn der heilige Geist und wir haben beschlossen, euch keine weitere Last aufzubürden, ausser dem, was unerlässlich ist, nämlich: euch fernzuhalten von Opferfleisch, Blut, Ersticktem und Unzucht; wenn ihr diese Grenze wahrt, handelt ihr richtig. Lebt wohl! Apg 15,22-29

Gottes Gegenwart ist Trost in Konflikten. Sie ist unmittelbarer als Gut und Bös, unmittelbarer als Geburt und Tod. In ihr sind Menschen zu einer Einheit verbunden, in ihr ist alle Materie von Liebe und Weisheit durchdrungen. Wo Differenzen und Streitigkeiten aufbrechen, verweist sie auf das Gemeinsame und schafft Entlastung. Dabei werden Leid und Not nicht ignoriert oder verdrängt. Ist Gott gegenwärtig, sind Armut und Ungerechtigkeit sichtbar, Krankheit und Schmerz spürbar, Abschied und Tod erfahrbar. Ja, noch mehr: Die Gegenwart Gottes ist die Kraft, um die konkrete, materielle Wirklichkeit wahrzunehmen und standzuhalten, wie sie ist, und daraus das Beste zu machen. Doch sie verklärt nichts, gibt der Materie keinen Heiligenschein und verzuckert sie nicht mit frommer Glasur. Vielmehr durchdringt sie sie mit ihrer Präsenz, kreuzt sie mit ihrer schöpferischen Kraft und erfüllt sie mit ihrem Geheimnis des Moments. Das zu erleben, ist Trost, das zu erfahren, Licht im Dunkeln.

In Konflikten tut genau dies not. Verstehe ich, dass Gott in allem gegenwärtig ist, schafft dies in mir Ehrfurcht vor dem grossen Spiel des Universums, vor dem Leben, vor aller Materie. Nicht nur ich selbst bin beseelt, alle Menschen, alle Lebewesen, alle Materie ist es. Was in Raum und Zeit besteht, ist von Gottes Gegenwart erfüllt, was in diesem oder jenen Moment geschieht, bezeugt ihre Freiheit. Alles, was es gibt, hat seine Zeit, sein Recht, sein Eigenes. Will ich in diesem kosmischen Spiel von Gottes Liebe und Weisheit mitspielen, bin ich angehalten, dies zu respektieren und mich an die Regeln des Spielens zu halten. Was ich für mich in Anspruch nehme, muss ich auch anderen zugestehen. Nur so gibt es Fairplay und Gerechtigkeit. Die Liebe und Weisheit, die in mir wirken will, will auch in anderen zum Zug kommen, in allem Leben, in aller Materie. Ich kann und soll selbstverantwortlich meinen Part in diesem Spiel übernehmen, meine Ziele verfolgen, im Wettbewerb mitspielen und zu gewinnen versuchen; doch das Gesetz des Fitteren ist eingebunden in ein Bündel von Naturgesetzen samt dem Zufall, und es wird jeden Moment von Gottes Gegenwart, seiner Liebe und Weisheit, gekreuzt. In meinem Mitspielen sind deshalb Konflikte jeden Moment mit im Spiel, aber sie verleiten mich nicht dazu, meinen Eigenwillen absolut zu setzen, sondern fordern mich dazu heraus, spielerisch und fair zu bleiben. Was dies bedeutet, führt unser Predigttext vor.

Er berichtet vom Abschluss eines Konflikts, der die Urkirche vor eine entscheidende Weichenstellung stellt. Ist die Beschneidung und mit ihr das mosaische Gesetz für Menschen nichtjüdischer Herkunft eine Bedingung, um zur christlichen Gemeinde zu gehören oder entsteht Zugehörigkeit einzig und allein in der Gnade der geteilten Gegenwart Gottes? Die Frage ruft nach einer Klärung des Verhältnisses der jungen Urkirche zu ihrer alten, jüdischen Tradition. Der Konflikt bricht zwischen der Metropole Antiochia aus, die auf die bedingungslose Gegenwart Gottes setzt, und Teilen der Gemeinde in Jerusalem, die stärker im Judentum verankert sind. Ausgetragen wird er Ende der 40er Jahre in Jerusalem. Apostel und Älteste der Jerusalemer Gemeinde sind anwesend sowie eine antiochenische Delegation unter der Leitung von Paulus und Barnabas. Unterdessen nähert sich der Konflikt einer Lösung. Petrus hat bereits klar und deutlich für die Bedingungslosigkeit plädiert. Barnabas und Paulus habe diese Position mit ihren Erfahrungen untermauert. Jakobus, der Gemeindeleiter Jerusalems, hat sich der Position von Petrus angeschlossen, jedoch einen Minimalkompromiss gefordert. Vier Bedingungen des mosaischen Gesetzes sollen ihre Gültigkeit behalten, damit diejenige, die in diesem Gesetz verankert sind, ohne Bedenken mit denen, die es nicht sind, in voller Gemeinschaft leben können. Die Erfüllung dieser Bedingungen ist aus seiner Sicht zwar nicht heilsnotwendig, doch bietet sie den Traditionalisten seiner Gemeinde eine Brücke, um mit den andern in Gemeinschaft zu leben.

An dieser Stelle setzt unser Predigttext ein. Der Vorschlag von Jakobus findet Zustimmung, und es wird in seinem Sinn entschieden (V22-23). Die Apostel und die Ältesten, die an der Diskussion teilgenommen haben, samt der Gemeinde, die anschliessend informiert wird, beschliessen, die Entscheidung der antiochenischen Gemeinde mit gebührendem Respekt zu überbringen. Zu diesem Zweck wählen sie aus ihrer Mitte zwei führende Männer, Propheten (V32), aus: Judas Barsabbas, über den nichts weiter bekannt ist, und Silas, der Paulus theologisch nahesteht und von ihm wenig später als Mitarbeiter ausgewählt wird (V40). Die beiden schicken sie zusammen mit Paulus und Barnabas nach Antiochia, um die Entscheidung persönlich zu kommunizieren. Zudem geben sie ihnen ein Schreiben mit, das sie übergeben sollen. Es wird also nicht auf eine Vorrangposition der Jerusalemer Gemeinde gepocht, sondern die Wertschätzung gegenüber der anderen Gemeinde ins Zentrum gestellt.

Das Schreiben beginnt in der klassischen Form eines hellenistischen Briefs (V23). Als Absender werden die Apostel und Ältesten genannt, die für die Entscheidung verantwortlich sind. Empfänger sind die Brüder und Schwestern in Antiochia, Syrien und Kilikien, also in der Gegend um den nordöstlichen Zipfel des Mittelmeeres. Angesprochen werden insbesondere auch diejenigen, die keinen jüdischen Hintergrund mitbringen. Sie alle werden gegrüsst. Sodann wird die Situation festgehalten, die zum Konflikt geführt hat, sowie formuliert, dass die beschlossene Lösung des Konflikts mit allem Respekt übermittelt wird (V24-27). Diejenigen, die Verwirrung gestiftet haben, haben ohne Auftrag der Jerusalemer Gemeinde agiert, die Entscheidung, Judas und Silas zu entsenden, ist einstimmig gefällt worden, und Paulus und Barnabas werden sehr geschätzt, haben sie doch ihr Leben für den Namen von Jesus Christus eingesetzt. Betont wird also die geschwisterliche Verbundenheit mit der antiochenischen Gemeinde.

Auf dem Boden der so bestätigten Beziehung zwischen den Gemeinden wird der Beschluss kommuniziert (V28-29). In der Kraft des heiligen Geistes der geteilten Gegenwart Gottes haben die Apostel und Ältesten entschieden, der Gemeinde Antiochias keine weitere Last aufzubürden. Auch sie bekennen sich zur Gnade der bedingungslosen Gegenwart Gottes und unterstellen eine Gemeinschaft, die diese miteinander teilt, grundsätzlich keinen Bedingungen. Allerdings weisen sie auf die vier Bedingungen des mosaischen Gesetzes hin, auf die bereits Jakobus insistiert hat. Auch wenn diese keine Heilsbedingungen sind, sind sie doch Bedingungen des rechten Verhaltens. Wahren sie diese Grenze, wird ihnen bestätigt, dass sie richtig handeln. Mit dieser Information verabschieden sie sich.

Die Fortsetzung berichtet dann, wie der Beschluss in Antiochia aufgenommen wird (V30-35). Der Brief wird in der Gemeindeversammlung vorgetragen und mit Freude quittiert. Der Kompromiss wird akzeptiert und nicht Frage gestellt. Der soziale Friede ist wieder hergestellt. Paulus wird bei seiner Missionstätigkeit auch diesen ins Zentrum stellen. Für ihn fügen diese Bedingungen der Gemeinschaft der geteilten Gegenwart Gottes nichts hinzu, noch nehmen sie ihr etwas. Entscheidend ist für ihn, was das geschwisterliche Zusammenleben, also den sozialen Frieden, fördert und zwischenmenschlich keine unnötigen Hürden aufbaut (Röm 14,1-4; 1Kor 8,7-13; 10,25-33).

Das heutige Nachdenken über diesen Predigttext motiviert uns, am Beispiel eines ernsthaften Konflikts innerhalb der Urkirche unser eigenes Konfliktverhalten zu reflektieren. Was gibt uns dieses Beispiel zu bedenken?

Zunächst das Offensichtliche, aber zuweilen höchst Anspruchsvolle: Es lohnt sich, schwelende Konflikte anzugehen und eine faire Lösung zu suchen. Auch die Urkirche hat sich damit schwergetan. Indem sie sich nicht als rein innerjüdische Gemeinschaft positioniert, sondern auch nichtjüdische Menschen aufnimmt, liegt die Frage, wie ihr Verhältnis zur jüdischen Tradition definiert ist, in der Luft. Diverse Antworten mögen eine Weile nebeneinander existieren, doch schwelt damit ein Konflikt, der den Frieden ernsthaft auf die Probe stellt. Indem sie sich jedoch an die geteilte Gegenwart Gottes hält, kennt sie die Heuristik für die Konfliktlösung. Diese motiviert sie, Gottes Gegenwart in Menschen und Materie zu suchen, ihre Würde, ihre Freiheit, ihr Recht zu respektieren und sich nicht in Partikularinteressen zu verstricken, sondern nach jener Lösung zu suchen, die Gottes Gegenwart samt ihrer Liebe und Weisheit miteinander teilt. Halte ich mich an diese Heuristik, weiss ich, dass Powerplay selbstverständlich zum Spiel gehört, aber ich vergesse nicht, dass dieses im Rahmen des Fairplay bleiben muss. Das Wissen um die Gegenwart Gottes schafft Respekt vor deren Spielregeln, um Konflikte engagiert, aber spielerisch anzugehen und zu lösen.

Sodann macht das Beispiel der Urkirche deutlich, dass die Unterscheidung der Prioritäten für die Konfliktlösung entscheidend ist. Geht es um die Gegenwart Gottes, steht für die Urkirche ausser Frage, dass sie aus reiner Gnade geschieht und keinen menschlichen Bedingungen unterstellt ist. Dies ist nicht verhandelbar und als Geheimnis der Gegenwart allen Konflikten vorgeordnet. Verhandelbar sind jedoch die Konsequenzen, die Menschen daraus ziehen. Diese sind stets den menschlichen Bedingungen unterworfen, situativ und unvollkommen. Gott ist zwar mit seiner Liebe und Weisheit bedingungslos gegenwärtig, doch was dies bedeutet, will jeden Moment unter den Bedingungen des Hier und Jetzt gesucht und gefunden werden. Die Urkirche behält so die Freiheit, einen Kompromiss zu finden, der den sozialen Frieden bewahrt und sich damit für das Teilen der Gegenwart Gottes bewährt. Unterscheide ich – um mit Bonhoeffer zu reden[1] – Letztes und Vorletztes, weiss ich um die spielerische Freiheit Gottes, aber übernehme im Hier und Jetzt meine Verantwortung. Ich gehe Kompromisse ein, engagiere mich für faire Lösungen, aber orientiere mich daran, was die Gemeinschaft der geteilten Gegenwart Gottes stärkt.

Schliesslich zeigt sich an diesem Beispiel, wie der Konflikt zwischen der mystischen Gemeinschaft der geteilten Gegenwart Gottes und der Tradition, der sie sich verdankt, geklärt werden kann. Für die Urkirche steht ausser Frage, dass sie ihre Wurzeln in der jüdischen Tradition hat. Das Gesetz des Mose, aber auch Psalmen und Propheten sind selbstverständliche Referenz. Auf dieser Grundlage setzt sie sich für die Gemeinschaft der geteilten Gegenwart Gottes ein, anerkennt ihre bedingungslose Präsenz und weiss um deren Liebe und Weisheit. Kompromisse mit Menschen, die stärker in dieser Tradition verankert sind und sich zur Urkirche bekennen, werden um des sozialen Friedens willen ohne Wenn und Aber akzeptiert. Auf diese Weise bleibt die geteilte Gegenwart Gottes jeden Moment im Zentrum, und die Tradition, insofern sie diese nicht infrage stellt, wird integriert. Orientiere ich mich an der Gegenwart Gottes, muss ich stets beides im Blick behalten: ihre Freiheit für den Moment und ihre Verankerung in der Tradition, ihr innovatives Potential und ihr Respekt vor dem Bestehenden. Allerdings ist dies nicht die ganze Wahrheit: Die Orientierung an der Gegenwart Gottes ist nur eine mögliche Weiterentwicklung der Tradition. Die Urkirche hat mit diesem Ansatz ihren internen Konflikt gelöst, doch derjenige zu jenem Judentum, das seine Tradition anders weiterentwickelt, hat es damit noch keineswegs geklärt. Dieser ungelöste Konflikt hat in der Folge über Jahrhunderte viel Streit und Leid verursacht. Ebenso mag zwar die mystische Gemeinschaft der geteilten Gegenwart Gottes jeden Moment in aller Materie gegenwärtig sein. Doch in dieser postchristlichen Zeit entwickeln sich aus der christlichen Tradition ebenso völlig andere Sichtweisen auf dieses Universum. So wird etwa von der amerikanischen Regierung jetzt, in Trumps zweiter Legislatur, ein Verständnis des christlichen Glaubens vertreten, für das «America first» und nicht die mystische Gemeinschaft der geteilten Gegenwart Gottes im Zentrum steht. Für Konflikte im kosmischen Spiel der Weisheit Gottes ist also weiterhin gesorgt!

Konflikte gehören zum Leben auf dieser Welt. Halten wir uns jedoch an Gottes Gegenwart, gibt uns diese eine trostreiche Perspektive. Denn sie bringt uns in jene Freiheit, die Konflikte engagiert, aber spielerisch und fair angeht, den sozialen Frieden stärkt und nicht vergisst, dass Gott in allem menschlichen Tun mit seiner Liebe und Weisheit gegenwärtig ist. Beten wir also, dass wir diesen Trost in allen Konflikten im Blick behalten und wir aus ihm schöpfen können. Amen.

[1] Bonhoeffer, Dietrich (1981; 9. Aufl.): Ethik, München: Kaiser Verlag: 128ff.

Predigt vom 9. März 2025 in Wabern
Bernhard Neuenschwander

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