Wiederum ist das Reich der Himmel gleich einem Netz, das ins Meer geworfen
wurde und [Fische] von allerlei Art zusammenbrachte. Und als es voll geworden war,
zogen sie es ans Gestade, setzten sich und sammelten die guten in Gefässe, die
faulen aber warfen sie weg. So wird es am Ende der Welt sein: Die Engel werden
ausgehen und die Bösen mitten aus den Gerechten aussondern und sie in den
Feuerofen werfen. Dort wird Heulen und Zähneknirschen sein.
Mat 13,47-50
Liebe Gemeinde
Was heisst es, aus allem das Beste zu machen ? Was bedeutet es, wenn man aus
allem, was man an Guten und Schlechtem bei sich hat, das Beste machen soll ? Ist
ein solcher Rat eine Anleitung zum positiven Denken ? Eine Aufforderung, vorwärts
und nicht rückwärts zu schauen ? Sich nicht in Grübeleien zu verlieren, sondern
pragmatische Lösungen zu suchen ? Unser Predigttext geht in dieser Richtung.
Ich gestehe, dass mir unser Predigttext nicht leichtgefallen ist. Er enthält einiges, das
für mich schwierig ist. Worum geht es ? Die Rede ist von einem Schleppnetz, das
normalerweise zum Fischen verwendet wird. Schleppnetze am See Gennesaret zu
neutestamentlichen Zeiten sind nach neuerer Forschung zwischen 250-450m lang
und etwa 2m breit. An beiden Enden ist ein Seil befestigt. Die eine Längsseite ist mit
Gewichten beschwert, so dass sie sinkt, die andere mit Kork oder leichtem Holz
versehen, so dass sie schwimmt. Schleppnetze dieser Art werden per Boot
ausgefahren und später wieder an Land gezogen. In unserem Gleichnis ist davon die
Rede, dass dieses Schleppnetz ins Wasser geworfen wird, allerlei zusammenbringt
und, als es voll ist, an Land gezogen wird. Am Land wird das Gefischte sortiert, das
Gute in Gefässe gesammelt und das Faule weggeworfen. Wer es ist, der dies tut,
wird nicht gesagt. Im Zentrum steht der Gedanke, dass das Netz alles, was sich in
ihm sammelt, mitnimmt, und dass erst dann, wenn es voll ist, sortiert wird. Soweit ist
der Text für mich noch problemlos nachvollziehbar.
Allerdings wird dieses Gleichnis gleich anschliessend durch eine allegorisierende
Erläuterung des Matthäus erklärt. Die Offenheit und Vieldeutigkeit des Gleichnisses
Jesu wird auf diese Weise beschränkt und in eine eindeutige Richtung gelenkt: Das
Gleichnis soll auf das Ende der Welt hin gedeutet und ethisch gelesen werden. Das
Herausziehen des vollen Netzes ist Bild für das Ende der Welt. Das Sortieren der
faulen und guten Fische ist Bild dafür, dass die Engel die bösen und gerechten
Menschen sortieren. Das Wegwerfen der faulen Fische schliesslich ist Bild für die
Vernichtung der Bösen. Und um dieser Erklärung mehr Dringlichkeit zu verschaffen,
fügt Matthäus gleich noch hinzu, wie man sich die Situation der Weggeworfenen
vorzustellen habe: sie werden – wie er erläutert – in den Feuerofen geworfen, in
welchem Heulen und Zähneknirschen sei. Mit dem Gleichnis Jesu hat dieser Zusatz
nicht mehr viel zu tun. Aber seine Funktion ist klar: Er ist eine Warnung an die
Hörenden, nicht ein böser Mensch zu sein und statt dessen alles dafür zu tun, ein
gerechter zu sein.
Aus heutiger Perspektive ist die matthäische Deutung des Gleichnisses anstössig.
Sie hebt einen Aspekt des Gleichnisses heraus, der viel Unheil anrichten kann. Die
Drohung mit der Hölle kann, wie wir aus der Kirchengeschichte wissen, fundamentale
Ängste wecken und die Botschaft des Evangelium verdrehen. Ich bestreite nicht,
dass es auch heute wichtig ist, mit Klarheit für das Evangelium einzustehen und
seiner Botschaft Nachachtung zu verschaffen. Aber die Konstruktion eines
furchterregenden apokalyptischen Szenarios ist dafür ein mindestens
missverständliches Mittel. Beschränken wir uns besser auf die darin steckende
Absicht, auf die Absicht nämlich, im Blick auf das Letzte anzuerkennen, dass unser
Leben ein Leben im Vorletzten ist und dass es als solches ethisch gefordert ist ! Es
war Dietrich Bonhoeffer, der diese Unterscheidung von Letztem und Vorletztem in
seiner theologischen Ethik thematisiert und reflektiert hat. Sie scheint mir für das
Verständnis unseres Predigttextes hilfreich. Was bedeutet dies für unser Gleichnis ?
Es bedeutet, dass wir das Gleichnis einfach als Gleichnis nehmen und die Frage
stellen sollen, was die ethischen Impulse sind, die es gibt. Natürlich steckt darin ein
kleiner Widerspruch. Denn das Gleichnis gibt ja zunächst keine Auskunft darüber,
was man tun soll, sondern es erzählt bloss, dass zuerst gesammelt und dann sortiert
wird. Aber es hält fest, dass das Himmelreich gleich ist wie ein Netz, mit dem etwas
Bestimmtes geschieht. Und weil nach dem Ansatz, nach welchem ich hier die
Gleichnisse deute, das Himmelreich nicht neben oder ausserhalb des Gleichnisses
zu finden ist, sondern in ihm wie in einem Kunstwerk, heisst dies: Wo ein Netz in der
Weise des Gleichnisses am Werk ist, dort leuchtet das Himmelreich auf. Das
Himmelreich ist sichtbar, wer es in einem solchen Netz sieht. Wo aber passiert das ?
Die Antwort auf diese Frage muss den ethischen Impuls aufdecken, den das
Gleichnis geben will.
Der Ort, an dem das Netz im Sinne des Gleichnisses am Werk ist und das
Himmelreich aufleuchtet, befindet sich dort, wo jemand das Beste aus allem macht,
was er an Guten und Schlechtem bei sich hat. Das Gleichnis vom Netz fordert uns
dazu auf, uns selbst in dem Schleppnetz zu sehen, in welchem unser ganzes Leben
mit allem Guten und Schlechten gesammelt ist, dieses aber nicht zu sortieren und zu
beurteilen, sondern aus diesem das Beste zu machen und das Sortieren und Urteilen
Gott zu überlassen, und es verheisst uns, dass dort, wo dies geschieht, das
Himmelreich aufleuchtet. Versteht man das Gleichnis auf diese Weise, versucht es
nicht Angst zu machen und mit Strafe zu drohen, sondern es ist eine Ermutigung,
das kommende Sortieren von Gut und Böse nicht vorwegzunehmen, sondern
vertrauensvoll Gott zu überlassen, statt dessen aber aus allem, was man im Laufe
des Lebens angesammelt hat, das Beste zu machen und genau darin das
Himmelreich zu sehen.
Für die meisten von uns, die wir mit der Fischerei kaum etwas zu tun haben, wird
dieses Bild nicht gerade naheliegend sein, um zu erläutern, was es heisst, aus allem
das Beste zu machen. Die Vorstellung, dass wir uns in einem Schleppnetz von
Gutem und Faulem sehen könnten, ist uns mindestens auf Anhieb fremd. Dennoch
lohnt sich der Aufwand, sich für einen Moment in dieses Bild hineinzudenken und
von ihm zu lernen, was es heisst, aus allem das Beste zu machen.
Dieses Bild macht uns nämlich spürbar, dass wir vom Letzten wie in einem Fischnetz
mit allem, was wir heute haben, gezogen werden. Wir brauchen das Letzte nicht mit
unserem Urteilen vorwegzunehmen, wir sind bereits im Zug des Letzten. Dieser Zug
ist eine Kraft, die uns in Bewegung versetzt, die uns „motiviert“, die uns aber auch
eine Richtung und Orientierung gibt. In dieser Kraft bleiben wir aufrecht in
Bewegung, aufgerichtet im Prozess, aufrichtig im Fluss; denn wir haben die Klarheit,
nicht urteilen und richten zu müssen, sondern uns darauf beschränken zu können,
den Willen Gottes zu tun. Gezogen von der Anziehung des Letzten vernehmen wir
hier und jetzt seine Forderung und können uns darauf beschränken, das Rechte zu
tun. Im Schleppnetz des Himmelreichs haben wir den Schwung, nicht unter Zwang
von innerem oder äusserem Druck, sondern durch die Attraktivität des Letzten das
Beste zu tun.
Das Bild vom Netz zeigt uns nicht nur, dass wir im Zug des Letzten stehen, sondern
auch, was wir darin tun zu haben: Es macht uns deutlich, dass wir darin unsere
Ressourcen realistisch einschätzen sollen. Im Netz, in welchem wir gezogen sind,
gibt es Gutes und Faules, Hilfreiches und Schädliches. Beides geht kunterbunt
durcheinander wie es dies in unserem Leben auch tut. Das Eine können wir vom
Andern nicht trennen. Aber wir können Weisheit entwickeln und beides
unterscheiden. Wir können Weisheit entwickeln und unterscheiden, was uns
angenehm und was uns unangenehm ist. Wir können Weisheit entwickeln und
unterscheiden, was in unserem Leben gut und erfolgreich und was schlecht und
schmerzhaft war. Wir können Weisheit entwickeln und unterscheiden, was mit all
diesen Ressourcen in Zukunft möglich und realistisch und was mit ihnen
unerreichbar und illusorisch ist. Auf diese Weise lassen wir ein Vertrauen in das
Mögliche entstehen, ohne im Blick auf die Schwierigkeiten zu resignieren, aber
bleiben realistisch, ohne im Blick auf das Mögliche abzuheben. Im Netz des
Himmelreichs sind wir uns klar über die faulen Fische in und um uns und beziehen
sie in unser Planen und Handeln mit ein, aber wir halten uns an die guten und
versuchen, aus allem das Beste zu machen. Das Himmelreich leuchtet deshalb in
diesem Netz als die Weisheit auf, die in jeder Situation den Weg zeigt, was das
Beste ist, das zu tun ist.
Das Bild vom Netz kann uns nach wie vor fremd sein. Ich sehe in ihm aber ein
kraftvolles Plädoyer für eine weise Ethik, eine Ethik also, die sich im Wissen um das
Letzte vor letzten Urteilen zurückhält, dafür aber gerade und aufrecht bleibt, und so
die Freiheit und Unbefangenheit behält, zwischen Gutem und Bösem zu
unterscheiden, das Böse also nicht zu übersehen und statt dessen das Gute zu tun.
Ein solche Ethik sucht das Beste und begnügt sich mit dem Möglichen; denn sie
weiss, neben dem Guten bleibt das Faule, aber neben dem Faulen bleibt auch das
Gute. Beten wir deshalb, dass uns Gott die Weisheit dieser Ethik gibt, damit wir
realistisch, aber hoffnungsvoll im Zug seines Netzes bleiben und darin sein Reich
erblicken. Amen.
Predigt vom 06. August 2006 in Wabern
Bernhard Neuenschwander